„Mark, was ist Muskelversagen und wie entsteht es?“
Berechtigte Frage. Mit weitreichenden praktischen Konsequenzen.
Wer im Muskelaufbautraining ohne Rücksicht auf Verluste bis ans Limit geht, riskiert
nicht nur seine Fortschritte.
Muskelaufbau auf Kosten der Gesundheit war noch nie eine gute Idee.
Wenn Du weißt, was Muskelversagen ist und wodurch es entsteht, verstehst diesen elementaren Zustand Deines Körpers beim Krafttraining. Du legst Bedenken ab, wenn sie überflüssig sind und Dir den Respekt vor Trainingssituationen bewahren, in denen er berechtigt ist.
Wenn Du diese Hintergründe nicht kennst, riskierst Du Trainingsstillstand und gravierende – aber vermeidbare – Verletzungen.
In diesem Artikel erfährst Du, wie Du die goldene Mitte findest, aus hartem UND gesundem Training, das Dir kontinuierliche Fortschritte beschert. Das sind die Themen:
- Was ist Muskelversagen?
- Was passiert dabei wirklich?
- Technisches vs. absolutes Muskelversagen: Der kleine, aber feine Unterschied
- Wann Du ans Limit gehen kannst – und wann besser nicht.
Es gibt Menschen die Respekt vor der „magischen“ Grenze haben.
Angsthasen? Ich bin da anderer Meinung …
Was ist Muskelversagen?
Hier ist eine simple Definition:
Muskelversagen ist ein Zustand beim Krafttraining, der dazu führt, dass Du Deinen Trainingssatz beenden musst.
Er tritt auf, wenn Dein Muskel nicht mehr genügend Kraft bereitstellen kann, um ein bestimmtes Gewicht zu bewältigen.1
Nach einem Satz bis zum Muskelversagen brauchst Du eine kurze Pause (1 bis 3 Minuten), in der der Muskel regeneriert und neue Energie in Form von ATP (Adenosintriphosphat) bereitstellt.
Dabei tauscht die Zelle Stoffwechselprodukte (z.B. Wasserstoffionen, Laktat, anorganische Phosphate, Creatin, Kalium) mit dem umgebenden Gewebe aus. Abbauprodukte werden entsorgt und Nachschub angeliefert.
Trotz des Muskelversagens ist der Muskel nicht völlig ermüdet.
Er kann lediglich nicht genügend Kraft erzeugen, um den Widerstand des Gewichts zu überwinden. Ein etwas leichteres Gewicht könntest Du noch bewältigen.
In der Trainingslehre wird zwischen konzentrischem und exzentrischem Muskelversagen unterschieden, also einem versagenden Muskel in der Anspannungs- bzw. Rückführungsphase des Gewichts.
Was passiert beim Muskelversagen wirklich?
Im theoretischen Modell bedeutet Muskelversagen, dass nicht mehr alle nötigen Muskelfasern gleichzeitig aktiviert werden können.
Die Aktivierung übernehmen Nerven, die jeweils eine bestimmte Menge Muskelfasern rekrutieren.
Bei leichtem Gewicht werden zuerst Typ I Muskelfasern aktiviert, mit zunehmender Last auch die stärkeren (aber weniger ausdauernden) Typ II Muskelfasern.
Dabei hat sich das folgende Muskelaufbau-Modell in der Praxis als hilfreich erwiesen:
- Wenn Du Kraft aufbauen willst, trainierst Du daher mit schwereren Gewichten submaximal. Damit trainierst Du Dein zentrales Nervensystem, mehr Muskelfasern gleichzeitig zu rekrutieren. Durch schweres, submaximales Training bringst Du die Muskelfaser zum Wachsen (myofibrilläre Hypertrophie).
- Wenn Du Muskelmasse aufbauen willst, trainierst Du mit leichteren Gewichten und kürzeren Pausen bis zum Muskelversagen. Damit entsteht kumulative Ermüdung, die einen Wachstumsreiz der Zelle durch „flüssigkeitsbedingtes Anschwellen“ erzeugt (sarkoplasmatische Hypertrophie).
Gewichtheber und Powerlifter verwenden daher schwerere Gewichte und lange Satzpausen, während Bodybuilder mit leichteren Gewichten und kürzeren Satzpausen trainieren.2
In der Praxis empfehle ich das Training bis zum absoluten Muskelversagen nicht.
Wenn ich von „Muskelversagen“ rede, meine ich damit ein erweitertes Konzept – Du kannst es als Schutzschild für Deinen Bewegungsapparat sehen.
Warum Du nicht über das technische Muskelversagen hinaus trainieren solltest
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen absolutem und technischen Muskelversagen.
Absolutes Muskelversagen bedeutet, dass Du das Gewicht nicht mehr halten kannst.
Damit würdest Du bei einigen Übungen ernsthaft in die Klemme geraten: Denk‘ zum Beispiel ans Langhantel-Schulterdrücken.
Absolutes Muskelversagen mit 50 Kilo über dem Kopf? Keine gute Idee!
Den möglichen Vorteilen des Trainings bis zum absoluten Muskelversagen stehen in meinen Augen unnötige Risiken entgegen.
Wenn Du Deine …
- Ernährung im Griff hast,
- genügend schläfst und einen
- anständigen Trainingsplan verfolgst, kannst Du wunderbar Muskeln aufbauen.
Wenn Du diese drei Themen unter Wind hast, wirst Du Fortschritte erzielen.
Wenn Du aber regelmäßig ans Limit oder darüber hinaus gehst, gewinnst Du meist wenig und riskierst viel: Das beginnt beim Übertraining durch ein überlastetes zentrales Nervensystem, geht über schmerzende Sehnen und kann in der Verletzungspause enden.
Dein Ziel sollte nicht sein, Dich in wenigen Jahren krankenhausreif zu trainieren, indem Du bei jeder Trainingseinheit an die Grenze und darüber hinaus gehst.
Dein Ziel sollte sein, über Jahre und Jahrzehnte stärker zu werden und zu bleiben.
Die Lösung heißt technische Muskelversagen.
Technisches Muskelversagen ist der Zustand, in dem Du keine weitere Wiederholung mit perfekter Technik durchführen kannst.
Natürlich ist das keine Ausrede, jetzt die rosa Hanteln auszupacken – Du darfst und sollst hart trainieren!
Technisches Muskelversagen bedeutet, dass Du tricksen müsstest, um eine weitere Wiederholung zu bewältigen. Beispielsweise:
- unsauber werden,
- mit Schwung arbeiten,
- Geräusche wie King-Kong machen
- oder andere unlautere Mittel ergreifen.
Wenn Deine Form anfängt, unsauber zu werden und/oder Du mehr als 5 Sekunden für eine einzige Wiederholung benötigst, bist Du über das Ziel hinausgeschossen.
Bevor Du an diesen Punkt kommst, hörst Du auf!
Vorsicht.
Es gibt einige Übungen, bei denen Du niemals bis an die Versagensgrenze des Muskels trainieren solltest – auch nicht bis an die technische.
Diese Übungen solltest Du NIE bis ans Muskelversagen trainieren
In diesen Fällen solltest Du auch technisches Muskelversagen immer vermeiden:
- Olympische Übungen (z.B. Snatch, Clean and Jerk, Clean and Press),
- Sprünge,
- Würfe,
- alle Übungen, die Du erst noch lernen willst,
- alle technisch anspruchsvollen Übungen,
- alle Übungen, die Deinen unteren Rücken gefährden (z.B. Langhantelrudern vorgebeugt, Kreuzheben, Hip Thrust, etc.),
- schwere Langhantel-Übungen, die Du noch nicht zu 110% beherrschst (z.B. Kniebeugen),
- alle „Maximalkraft“-Übungen im Bereich 1-5 Wiederholungen (oder mit 85% 1RM und mehr).
Nachdem wir die Ausnahmen behandelt haben, können wir nun ans Limit gehen.
Bei diesen Übungen kannst Du ans Muskelversagen gehen
Bei diesen Übungen kannst Du ans technische Muskelversagen gehen (wenn Dein Trainingsplan dies vorsieht):
- Training mit dem eigenen Körpergewicht mit 8 und mehr Wiederholungen,
- Kurzhantel-Übungen mit 8 und mehr Wiederholungen,
- Langhantel-Drücken mit 8 und mehr Wiederholungen (nur, wenn Du die Technik perfekt beherrschst),
- Optional: Schweres Tragen in allen Variationen („Loaded Carries“), z.B. mit Kettlebells, Lang- oder Kurzhanteln, Sandsack oder freiwilligen (!) Trainingspartnern,
- Optional: Lastendrücken und -ziehen mit Zugschlitten („Sled Push“ und „Sled Pull“),
- Optional: HIIT Trainingseinheiten, die technisch nicht anspruchsvoll sind oder bei denen Du keine Verletzung riskierst, wenn Deine Form nachlässt.
Fazit
Die anfängliche Theorie mag „trocken“ sein, aber sie ist wichtig.
Ich hoffe, ich konnte Dir ein gutes Verständnis dafür geben, was das „Versagen“ des Muskels bedeutet, ohne zu sehr ins Detaill abzurutschen.
Wenn ich (außerhalb dieses Artikels hier) von Muskelversagen rede, meine ich technisches Muskelversagen.
Wenn Du Verletzungen und Übertraining vermeiden willst, solltest Du Dich stets am technischen Muskelversagen orientieren.
Eine hundertprozentige Form in der Ausführung sollte IMMER an allererster Stelle stehen!
In vielen Fällen kannst Du hart bis ans technische Muskelversagen trainieren. In anderen Fällen solltest Du lieber smart vorgehen – und Sicherheitsabstand zur Grenze halten.
Das bedeutet nicht, dass Du ab sofort mit pinken Plüschhanteln trainierst und aufhörst, bevor es anstrengend wird.
Jede Wiederholung zählt und die letzte Wiederholung (mit sauberer Technik) zählt am meisten.
Wenn Du sie weglässt, verschenkst Du leicht mal den ganzen Trainingssatz.
Frage: Welches ist Dein aktuelles Trainingsziel. Wofür machst Du Krafttraining, was ist Dein sehnlichstes Ziel in 90 Tagen von heute? Schreib einen Kommentar.
Bildquellen
Fotos im Artikel “Muskelversagen”: JamJammy (CC BY 2.0), CrossFit Huntsville (CC BY-NC 2.0) via Flickr; Royalty-Free License: Eric Sahrmann.
- Das High Intensity Training ist eine der wenigen Ausnahmen: Hier wird der Trainingssatz über das Muskelversagen hinaus fortgeführt. Den meisten Menschen empfehle ich anderes Muskelaufbau Training als HIT. [↩]
- B. Schoenfeld. The mechanisms of muscle hypertrophy and their application to resistance training. Journal of Strength Conditioning Research, 2010 [↩]