„Go hard or go home.“ Lese ich gerade wieder auf Facebook.
Heißt „richtig trainieren“ wirklich, jedes Mal an die Grenze – und darüber hinaus – zu gehen?
Tatsächlich sind viele der Meinung, sie müssten bei jedem Workout bis zum Muskelversagen trainieren.
Frag‘ einen Marathonläufer, ob er im Training immer auf Kante läuft. Frag‘ einen Bodybuilder, ob er sich bei jedem Training ins Jenseits schießt. Die Antwort dürfte Dich überraschen…
Was bedeutet „richtig trainieren“?
Training bis zum Muskelversagen hat seine Berechtigung. … aber submaximales Training ist ebenso wichtig. Der US Fitnessblogger Rusty Moore brachte das Thema kürzlich in seinem Newsletter auf den Punkt. Richtig trainieren heißt zunächst einmal, ein klares Ziel vor Augen zu haben.
Drei Gründe, warum Du submaximal trainieren und nicht bis an die Belastungsgrenze gehen wollen würdest:
- Du trainierst, um stärker zu werden.
- Du willst primär mehr Kraft und nur etwas mehr Muskelmasse.
- Du willst häufig mit schweren Gewichten trainieren, ohne auszubrennen.
Wenn Du bis zum Muskelversagen gehst, ermüdest Du den Muskel:
Ermüdung = Muskel verliert Fähigkeit zur starken Kontraktion
…das heißt, weniger Kraft in den Folgesätzen.
Wann Du bis zum Muskelversagen trainieren solltest – und wann nicht.
Wenn Du trainierst, um stärker zu werden, willst Du diese kumulative Ermüdung so weit wie möglich vermeiden und Deine Stärke von Satz zu Satz möglichst gut erhalten.
Moment… Führt das Training mit schweren Gewichten nicht dazu, dass die Muskeln wachsen?
Schwere Gewichte können dazu führen, dass die Muskeln wachsen, solange Du beim Training bis an die Grenze gehst.
Eine aktuelle sportwissenschaftliche Metastudie setzt sich im Detail mit Muskelaufbautraining bei verschiedenen Wiederholungsanzahlen auseinander und kommt zu einem interessanten Ergebnis:1
„Wenn die Muskeln bei den letzten Wiederholungen am Ende eines Trainingssatzes maximal oder nahezu maximal ausgelastet sind, weist die Faktenlage darauf hin, dass die unterschiedlichen Kräfte, die durch unterschiedliche Gewichte erzeugt werden, zu ähnlichen Trainingsergebnissen führen.“2
Spielt die Wiederholungszahl denn für Muskelwachstum überhaupt eine Rolle?
Richtig trainieren: Grundsätze
Ja. Es gibt zwei Arten von Muskelwachstum, und die triggerst Du mit verschiedenen Wiederholungszahlen:
- Sätze mit mehr Wiederholungen führen dazu, dass Deine Muskeln schneller größer werden. Und zwar, weil mehr Flüssigkeit in der Muskelzelle eingelagert wird. 8-12 Wiederholungen sind ein guter Ansatz, wenn Du diese Art von Muskelwachstum triggern willst. Siehe auch sarkoplasmatischer Muskelaufbau.
- Sätze mit weniger Wiederholungen triggern einen Wachstumsreiz im Muskelgewebe. Damit wächst das Volumen nicht so schnell, Dein Muskel wird allerdings stärker. Siehe myofibrilläres Muskelwachstum.
In diesem Artikel erfährst Du mehr darüber, wie Du die Wiederholungszahlen anpassen solltest, um Dein Muskelvolumen oder die Definition zu verbessern. In diesen beiden Fällen kannst Du bis zum Muskelversagen gehen.
Wenn die Optik für Dich nicht entscheidend ist, und Du in erster Linie stärker werden willst, solltest Du submaximal bleiben und nicht bis zum Muskelversagen traineren – ähnlich wie im 28-Tage-Klimmzugprogramm.
Was bedeutet das ganz konkret? Nach meinem Artikel über „Sweet-Spot“ Muskelaufbautraining bekam ich eine Reihe von Fragen dazu. Ich setze daher hier nahtlos an – aus einem andere Blickwinkel, der Dir hoffentlich noch mehr Klarheit gibt.
Richtig Trainieren #1: Muskeln aufbauen
Du gehst in den folgenden Wiederholungsbereichen bis ans Muskelversagen (Wdh. gemäß Zielsetzung):
- 3-5 Wiederholungen für mehr Dichte und etwas Muskelaufbau
- 6-12 Wiederholungen für schnellen Muskelaufbau mit weniger Fokus auf Kraft und Dichte.
- 12-20 Wiederholungen zur Vergrößerung der Glykogenspeicher im Muskel (Glykogen führt zu Wassereinlagerung, der Muskel wirkt praller)
Der niedrigere Wiederholungsbereich führt zu myofibrillärem Muskelwachstum.
Der höhere Wiederholungsbereich führt zu sarkoplasmatischem Muskelaufbau.
Richtig Trainieren #2: Kraft aufbauen
Du trainierst in den folgenden Wiederholungsbereichen submaximal, bleibst also 1-2 Wiederholungen unter dem Muskelversagen (Wdh. gemäß Zielsetzung):
- 2-3 Wiederholungen für reinen Kraftaufbau (auch Training zur „intramuskulären Koordination (IK)“ genannt)
- 4-6 Wiederholungen für Kraftentwicklung mit mehr „Time under Tension (TUT)“ – also die Dauer, in der Du einen Muskel belasten kannst. Auch mit diesem Ansatz kannst Du gut Muskeldichte aufbauen.
Richtig Trainieren #3: Vaskularität erzeugen
Du möchtest Deine Adern hervortreten sehen? Im Bodybuilding spricht man dann auch von mehr Vaskularität. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Wenn Du diese Optik magst, solltest Du im hohen Wiederholungsbereich trainieren. Das führt dazu, dass mehr Blut in Deinem Muskel regelrecht eingesperrt wird („Muskel-Pump“). Das begünstigt die Bildung von größeren Venen, Kapillaren etc.
- 8+ Wiederholungen bis zum Muskelversagen für Vaskularität und Muskelwachstum.
- 8+ Wiederholungen submaximal für Vaskularität ohne Muskelwachstum.
Richtig Trainieren #4: Vaskulariät vermeiden
Gerade Frauen wollen keine „adrigen“ Muskeln. Wenn es Dir ähnlich geht, solltest Du eher ohne „Muskelpump“ trainieren:
- 2-6 Wiederholungen bis zum Muskelversagen für Muskelaufbau ohne starken Pump-Effekt
- 2-6 Wiederholungen submaximal für Kraftentwicklung ohne starken Pump-Effekt
Fazit
„No pain, no gain?
Shut the f*** up and train?“
Diese Sprüche können motivieren (kommt drauf an, was für ein Typ Du bist). Aber sie helfen Dir nicht dabei, das richtige Trainingsprogramm für Dein individuelles Ziel zu stricken.
Mein Ziel ist es, Dir ein differenzierteres Bild zu geben, hoffentlich etwas mehr Klarheit zu schaffen und Dir konkrete Anwendungstipps zu geben. Falls Du meine Grundlagenartikel zum Muskelaufbau und -definitionstraining noch nicht kennst, solltest Du sie ebenfalls lesen – dieser Artikel baut darauf auf.
Für Frauen bieten sich mittel- bis langfristig klassische 5 x 5 Trainingsprogramme an (5 Wiederholungen, 5 Sätze pro Übung), und zwar im submaximalen Bereich. Du wirst stärker, festigst Deine Knochen und bekommst dichtere Muskeln. Der Effekt: Muskel-„Toning“, ohne dass Du an Masse zulegst. Du vermeidest auch, dass die Adern hervortreten (die wenigsten Frauen wollen das).
Männer wollen in der Regel muskulöser und definierter werden. Dazu kannst Du Dein Training in 3 Phasen gliedern, für die Du Dir je 2 Monate Zeit nimmst:
- In Phase 1 setzt Du auf eine Kombination sarkoplasmatisches und myofibrillärem Muskelwachstum.
- Phase 2 legt den Fokus auf Masse,
- Phase 3 auf Definition.
So kannst Du innerhalb von 6 Monaten eine deutliche Transformation schaffen, die auf eine „messerschafe“ Optik abzielt, ohne den soften, aufgepumpten Look zu entwickeln, den Du oft im Fitnesstudio siehst.
Es geht also nicht immer darum, dass Du Gewichte hebst „bis Du Dich übergibst“. Dein Ziel entscheidet.
Wie stehst Du zum Thema „Vaskularität“? Sind „adrige“ Muskeln für Dich ein Zeichen von Stärke und Fitness oder findest Du sie eher unästhetisch (bei Frauen, bei Männern, …)? Welche Fragen zum Thema Muskelaufbau und Körperdefinition sind für Dich noch offen und ein mögliches Thema für zukünftige Artikel?
Fotos: AmySelleck, Live & Let Die </3, istolethetv, ammai2010, midwestnerd (CC BY 2.0).
- Ralph N. Carpinelli. The Size Principle and a Critical Analysis of the Unsubstantiated Heavier-is-Better Recommendation for Resistance Training. Journal of Exercise Science and Fitness, Volume 6, No. 2, 2008. [↩]
- Übersetzung aus dem Englischen. Originaltext: If a maximal — or near maximal-effort is applied at the end of a set of repetitions, the evidence strongly suggests that the different external forces produced with different amounts of resistance elicit similar outcomes. [↩]