„Regelmäßiges Faszientraining kann Cellulite mildern oder gar beseitigen.“
„Sportverletzungen sind fast immer Verletzungen an faszialem Bindegewebe.“
– Dr. Robert Schleip
Dr. Robert Schleip gehört zu den führenden Faszienforschern in Deutschland.
Er ist Psychologe und Humanbiologe und leitet ein an der Universität Ulm ein wissenschaftliches Institut, das sich ausschließlich mit der Funktion der Faszien beschäftigt.
Robert Schleip ist mitverantwortlich dafür, dass so gut wie jedes Fitnessstudio Faszienroller bereitstellt.
In diesem Gespräch mit Robert Schleip dreht sich alles um das geheimnisvolle Bindegewebe, das alle Muskeln umschließt und den kompletten Körper durchläuft – Deine Faszien.
Verspannungen, Schmerzen und Verletzungen sind oft auf verklebte oder verdrehte Faszien zurückzuführen.
Das Schöne ist: Wenn Du Deine Faszien pflegst und fit hältst, kannst Du Dich bis ins hohe Alter geschmeidig wie ein Leopard bewegen.
Gesunde Faszien helfen Dir dabei, Deine Trainings- und Fitnessziele zu erreichen.
Außerdem sorgen sie dafür, dass Du Dich gesund- und wohlfühlst.
Indem Du sie trainierst, erhöhst Du die Spannkraft Deines Bindegewebes und sorgst so für mehr Definition – und weniger Cellulite (falls das bisher ein Thema für Dich gewesen sein sollte).
Am Ende dieses Gesprächs verrät Robert Schleip Dir außerdem ein paar simple, aber effektive Übungen für Deine Faszien, die Dich nur wenige Minuten pro Woche kosten.
Als Podcast hören: Wenn Du lieber zuhörst als liest, kannst Du unser Gespräch über den Player unten hören. Am bequemsten ist es, wenn Du Fitness mit M.A.R.K. abonnierst, z.B. via Apple Podcasts.
Die Shownotes zur Folge findest Du hier.
Dieser Artikel ist die überarbeitete Niederschrift unseres Podcasts.
Viel Spaß beim Lesen!
Die Wissenschaft der Faszien: Ein Gespräch mit Dr. Robert Schleip
Mark: Du bist einer der bekanntesten Experten zum Thema „Faszienforschung“. Was sind Faszien und wozu brauchen wir sie?
Dr. Robert Schleip: Faszien sind das muskuläre Bindegewebe. Man kann es zum Beispiel am Hühnerfleisch sehr gut erkennen, dort sieht man ein weißes Gewebe, das die Muskeln und das Fleisch umgibt.
Ohne die Faszien würde der Körper auseinanderfallen. Sie halten die Organe an ihrem Platz und formen den Körper. Würde man den Körper in eine starke Natronlösung eintauchen, so dass alles außer den Faszien verschwindet, hätte man fast immer noch eine Art perfekte Landkarte, auf der jedes Gefäß und jede Muskelfaser zu erkennen ist.
Mark: An den Faszien kann man also den menschlichen Körper mit all seinen Organen erkennen. Auch das Gehirn?
Dr. Schleip: Ja, das Gehirn verfügt über Bindegewebsmembrane, die so genannte „Dura mater“, die zeltartige Spannungsstrukturen im Gehirn formt. Damit beschäftigt sich auch die Osteopathie.
Warum gibt es so wenige Faszienforscher?
Mark: Du hast Psychologie studiert und nun bist Du Leiter der Fascial Research Group der Universität Ulm. Wie kam das?
Dr. Schleip: Ich komme von der Psychologie und von der Psychotherapie und war einer der ersten Deutschen, die die Rolfing-Methode praktiziert und gelehrt hat. Das ist eine Therapie, bei der die Faszien im Vordergrund stehen.
Nachdem ich diese Methode zwanzig Jahre lang gelehrt hatte, habe ich mir ein Sabbatjahr gegönnt, um tiefer in das Thema einzutauchen.
Ich wollte verstehen, was während einer kräftigen Bindegewebsmassage passiert.
Fachleute der Harvard Medical School in Boston hatten 2007 den ersten Internationalen Fascia Research Congress durchgeführt, und ich war im Organisationskomitee beteiligt.
Das war ein historisches Ereignis, denn bis dahin haben die Faszien in der klassischen Anatomie kaum eine Rolle gespielt. Plötzlich erkannte man, welche wichtigen Funktionen sie erfüllen.
Da war eine Aufbruchstimmung, die mich mitgerissen hat.
Seitdem begeistert mich die Faszienforschung.
Mark: Um die Jahrtausendwende hatte ich den Eindruck, die Anatomie des menschlichen Körpers und seiner Organe sei weitestgehend bekannt und erforscht.
Wie kann es sein, dass ein solch großes und wichtiges Organ erst so spät entdeckt wurde?
Dr. Schleip: In den alten Anatomielehrbüchern konnte man noch viel über das Bindegewebe lesen. Aber mit der Zeit wurde es immer weniger.
Beim Sezieren lernt der Medizinstudent das Bindegewebe als eine unattraktive, klebrige und strukturlose Masse kennen, die es gilt wegzuschälen. Nur selten kommt es vor, dass sich ein Student in dieses Gewebe verliebt und beschließt, Faszienforscher zu werden.
Das lebende Bindegewebe ist ein schillerndes, transparentes und reflektierendes Konstrukt.
Unsere Faszien machen etwa 20 Prozent des Körpervolumens aus.
Oft wird es lediglich als eine Art Verpackung wahrgenommen. Aber diese Verpackung der Muskeln und Organe ist ein wesentliches Element für die Konturfigur selbst.
Ein weiterer Grund für das mangelnde Interesse an den Faszien ist, dass man das Bindegewebe nicht einfach in zählbare Einheiten zerteilen kann.
Es ist schlecht möglich zu bestimmen, wo welche Faszie beginnt und wo sie endet.
Man kann sie nicht in ihre Einzelteile zerschneiden und diesen Teilen dann Namen geben.
Der eine redet von Lumbalfaszie, der andere von Thorakolumbalfaszie. Die ganzen Begriffe sind nicht eindeutig.
Heutzutage kann man Dinge jedoch erforschen und exakt beschreiben, ohne sie zu zerschneiden zu müssen.
Warum ist Faszien-Fitness so wichtig?
Mark: Auch die Haut ist eine Verpackung, und die ist schon lange ein Objekt der medizinischen Forschung. Warum also nicht auch die Faszien? Vielleicht, weil man sie nicht wie die Haut von außen sieht.
Lassen sich Faszien trainieren? Welche Rolle spielen sie im Fitnessbereich, bei Kraft- und Ausdauersport sowie bei einer gesunden Physis?
Dr. Schleip: Wer seine Muskeln stärken will, für den ist Faszientraining nicht optimal.
Geht es jedoch um die Kontur, dann ist das Faszientraining wichtiger als der Muskelaufbau.
Eine Frau will zum Beispiel keine breiten Oberarme haben, sondern sie möchte, dass die Haut an den Armen nicht schwabbelt.
Das kann man mit einer Wurst vergleichen. Ob die Haut hängt oder straff ist, das liegt nicht an dem „Wurstinhalt“, sondern an der Hülle.
Der Brei, also der Wurstinhalt, ist der entspannte Muskel in der Wurstpelle, und die Pelle selbst ist das Faszienmaterial.
Es geht darum, ob ich mehr Volumen in meinem „Wurstgewebe“ haben will oder ob die Hülle strammer sein soll.
Früher dachte man, dass man mit sportlicher Betätigung sowohl die Muskeln als auch das kollagene Bindegewebe trainiert.
Das stimmt jedoch nur bis zu einem gewissen Grad:
Wer sich auf einen Triathlon vorbereitet, der wird zwar nebenbei auch kräftiger im Gewichtheben, aber eben nicht so optimal, wie es für das Gewichtheben nötig wäre.
Und wer mehrmals in der Woche schwere Hanteln stemmt, der trainiert auch sein kardiovaskuläres System und seine Kondition. Aber für den Triathlon reicht das nicht.
Jedes Gewebe benötigt seine eigenen Belastungsreize, Dosierungen und Regenerationen.
Und die sind beim Muskelkräftigungstraining anders, als beim Kardiotraining.
So ist es mit dem Kollagen-Bindegewebe auch. Wenn ich die Muskelhülle strammer machen möchte, dann benötige ich beim Training besondere Belastungsintensitäten und Wiederholungszahlen.
Wie Deine Faszien Dein Aussehen beeinflussen
Mark: Wie genau beeinflussen Faszien das Erscheinungsbild der Haut?
Dr. Schleip: Auch in den Eingeweiden gibt es Fett, nämlich das Unterhautbindegewebe und die Oberflächenfaszie, die „Fascia superficialis“. Sie bestimmt, wie straff die Haut ist.
Dieses Gewebe kann man an der Taille und am Unterarm fühlen.
Die Kollagenfaserdichte bestimmt das Erscheinungsbild von Cellulite.
Es kommt darauf an, wie groß der Abstand zwischen diesen honigwabenartigen Septen aus Kollagen ist. Und die kann man kräftigen.
Mark: Frauen, die ihre Cellulite loswerden wollen, können durch Faszientraining Fortschritte machen?
Dr. Schleip: Auf jeden Fall. Die Tendenz zu Cellulite ist genetisch angelegt, deswegen sieht man sie bei uns Männern viel seltener als bei den Frauen.
Cellulite zeigt sich jedoch deutlicher, wenn man keinen Sport macht.
Wenn man regelmäßig läuft oder hüpft, dann strafft sich die Fascia profunda, die Gesamtheit der Komponenten des Bindegewebes.
Der Oberschenkel ist dann nicht kreisrund, sondern er ist an der Außenseite etwas platter als auf der Innenseite. Bei einer Einbeinbelastung wird die Faszienhülle an der Außenseite ruckartig belastet. Dadurch verdickt sich der Faserzug Tractus Iliotibialis.
Seilspringen ist das beste kollagenstraffende Bindegewebstraining gegen die Cellulite.
Allerdings, und das hat Turnvater Jahn damals nicht gewusst, reicht es aus, wenn man hochdosierte hüpfende Bewegungen dreimal wöchentlich durchführt. Und auch nicht dreihundertmal hüpfen, sondern lediglich dreißigmal.
Mark: Dreißig Sprünge dreimal in der Woche sind genug, um das Bindegewebe zu trainieren?
Dr. Schleip: Ja.
Wenn ich sehr kräftig trainiere, dann wachsen die Muskeln auch kräftig, und wenn ich halbkräftig trainiere, dann wachsen sie immer noch, aber nur noch mittelmäßig.
Die Bindegewebszellen hingegen sind eher wie ein Kippschalter.
Das heißt, ich muss einige Male deutlich auf den verrosteten Schalter draufhauen. Und wenn ich danach weitere hundert Mal draufhaue, bringt das nicht viel mehr.
Was Dein Lebensstil mit Deinen Faszien macht…
Mark: Die Naturvölker, die vor Tausenden von Jahren gelebt haben, sind nicht in die Muckibude gegangen.
Heute sitzen die meisten von uns den ganzen Tag am Schreibtisch. Was sind die Folgen dieses Lebensstils auf die Faszien?
Dr. Schleip: Nicht genutzte fasziale Strukturen verfilzen.
Fachlich bezeichnet man das als eine „Fibrotisierung“.
Die Faszie ist in einer scherengitterartigen, muskelumhüllenden Architektur ähnlich einer Damenstrumpfhose angeordnet.
Bei demjenigen, der sich wenig bewegt, verändert sich diese Struktur.
Sie wird weniger elastisch und verfilzt.
Dadurch wird man unbeweglicher.
Unsere Vorfahren haben ihre Gelenke in allen physiologisch möglichen Positionen belastet.
Der neuseeländische Forscher McNeill Alexander hat dazu eine interessante Studie an Schimpansen durchgeführt, „The unused Arch Theory“.
Diese Affenart bleibt normalerweise von den menschentypischen Gelenkdegenerationen verschont, wenn sie alt wird. Schimpansen neigen nicht zu Arthrosen und rheumatischen Gelenkbeschwerden. Es sei denn, sie werden nicht artgerecht gehalten.
Das hat McNeill Alexander zu der Hypothese inspiriert, dass menschliche Gelenkdegenerationen damit zusammenhängen, dass wir nicht „artgerecht“ gehalten werden. Und das ist eine ganz spannende Behauptung, für die sehr viele Gründe sprechen.
Auch ein Stubenhocker belastet beispielsweise regelmäßig sein Ellbogengelenk, und das bleibt gesund.
An den Hüftgelenken erkranken wir, wenn wir sie nicht ausreichend benutzen.
Unsere Vorfahren haben sehr oft in der Hocke gesessen, während wir heute zu viel auf Stühlen sitzen. Dadurch degenerieren unsere Hüftgelenke.
Wir müssen uns wieder artgerecht bewegen.
Und die spannende Frage ist, was eine artgerechte Bewegung ist. Zu diesem Thema forscht mein Kollege Daniel Lieberman derzeit in Kenia.
Wann belasten Menschen, die noch als Jäger und Sammler leben, ihr Hüftgelenk? In welchem Winkel tun sie das?
Wie sind die Bauchfaszien ausgeprägt, wenn die Menschen in ihrem Alltag tragende, hüpfende und tanzende Bewegungen durchführen?
Nicht genutztes Gewebe verkümmert.
Das ist das Fazit.
Mark: Viele Menschen sind unbeweglich und schaffen keine tiefen Kniebeugen. Ließe sich das auch durch Faszientraining verbessern?
Dr. Schleip: Das spröde, harte Gewebe verfilzt, wenn man ein Gelenk zu wenig in seiner Endposition benutzt, beispielsweise in der Hocke oder beim Kriegerschritt, wo das Bein nach hinten gestreckt ist.
Diese Positionen haben unsere Jäger- und Sammlervorfahren täglich praktiziert. Dabei helfen hüpfende Bewegungen und langsame Dehnungen.
Wenn man sprödes und steifes Kollagen abbauen will, sollte man jeden Tag trainieren.
Will man Kollagen aufbauen, dann reicht es aus, die Gelenke nur alle zwei bis drei Tage zu belasten.
Mark: Ich kann mir vorstellen, dass Schmerzen, beispielsweise Rückenschmerzen, auch durch Probleme mit Faszien entstehen.
Dr. Schleip: Ein Großteil der Weichteilschmerzen lassen sich tatsächlich auf das fasziale Bindegewebe zurückführen.
Das gilt für Rücken- und Nackenschmerzen oder auch für das Läuferknie an der Außenseite des Oberschenkels sowie für die Achillodynie.
Diese freien Nervenendigungen, die als Nozizeptoren, also als mögliche Schmerzauslöser infrage kommen, sind nicht in Muskelfasern eingebettet, sondern immer in dem muskulären Bindegewebe in den Faszien.
Wie sieht ein effektives Faszien-Fitnesstraining aus?
Mark: Wie genau trainiere ich die Faszien am besten, und woher weiß ich, ob ich Kollagen auf- oder abbauen muss?
Dr. Schleip: Ein gesunder Körper ist wie eine Stadt, in der Gebäude saniert, abgerissen und neu gebaut werden.
Je jugendlicher und aktiver ein Stoffwechsel ist, desto schneller funktionieren Abbau, Neubau und auch die Reparaturprozesse des Bindegewebes.
Deshalb sind sowohl der Kollagenaufbau als auch der -abbau wichtig.
In seinem eigenen Körper wohnt man ein ganzes Leben lang. Und wer sich vornimmt, den Körper zu modellieren und nackt gut auszusehen, der ist gut beraten, sich mit einem Spezialisten zusammentun.
Der braucht jemanden wie Dich, Mark, um herauszufinden, wo er sein seinen Körper kräftigen und wo er ihn dehnbarer und elastischer machen sollte. Dafür gibt es bestimmte Beweglichkeitstest, zum Beispiel nach Janda.
Ein Sprinter wird sicher nicht den Ehrgeiz haben, beim Yoga in der ersten Reihe zu stehen. Der will eine straffe Achillessehne haben.
Der Leichtathlet Usain Bolt könnte keine blitzschnellen Sprintbewegungen machen, wenn er eine weiche Achillessehne hätte.
Ein guter Coach würde mich fragen, welchen Körper ich in zehn Jahren haben und welche Schandtaten ich mit ihm anstellen möchte.
Dabei sind Belastbarkeit, Schnellkraft, Beweglichkeit und Kontur wichtig.
Obelix oder Kleopatra?
Mark: In Deinem Buch „Faszien-Fitness“ unterscheidest Du den Wikingertypen vom beweglichen, sehr flexiblen Typen. Wie sieht deren Training aus?
Dr. Schleip: In jedem Fitnessstudio kann man diese verschiedenen Typen erkennen.
Bei jemandem, der aussieht wie Obelix – mit einem kreisrunden Kopf und abstehenden Oberarmen, meist voller Tattoos, Kopf und Hals gehen in die breiten Schultern über – wäre es sehr ungewöhnlich, wenn der sich einen Platz neben den schlanken Damen im Yoga- und Pilatesraum suchen würde. Der wird zu seinen Kollegen beim Eisenstemmen gehen.
Umgekehrt sieht man die schlanken Damen mit der langen Taille viel zu selten beim Gewichtheben.
Das hat mit Vorlieben zu tun, nicht nur mit Genetik.
Aber mit dem Alter nehmen die Probleme zu.
Dann wäre es sinnvoll, dass der Obelix auch mal einige Yogaübungen macht und dass die bewegliche Kleopatra an den Gewichten trainiert.
Nicht ausschließlich, aber sie könnte auf jede zehnte Yogastunde eine Gewichthebestunde einlegen.
Das ist ein Thema, das wir im Buch „Faszien-Fitness“ behandeln. Mittlerweile gibt es viele sehr gute Bücher über das Faszientraining.
Mit welchen Faszienübungen solltest Du beginnen?
Mark: Gibt es beim Faszientraining Basisübungen, von denen jeder profitiert?
Dr. Schleip: Die Dosis macht das Gift.
Es gibt nichts Gutes auf diesem Planeten, was man nicht übertreiben könnte. Das gilt für das Gewichtheben genauso wie für die Faszienrolle und für endgradige Belastungen.
Die Rückenfaszie wird in einem endgradigen Zustand beansprucht, wenn man ab und zu in die Hocke geht oder einen Purzelbaum schlägt.
Man kann die Begeisterung eines Stubenhockers beflügeln, indem man ihn zehn Minuten lang springende Bewegungen zu Discomusik machen lässt. Dann fühlt er sich 20 Jahre jünger.
Aber dabei zieht sich womöglich einer von 20 eine Wadenzerrung zu, und das ist einer zu viel.
Hüpfende Bewegungen, jawohl, aber anfangs bitte nur einige Dutzend.
Dann zwei Tage warten und die Dosis langsam steigern.
Ich bin sehr dafür, beschwingte Bewegungen in den Alltag einzubauen.
Das gilt auch für den Gewichtheber. Der könnte das Gewicht seiner Langhantel auf ein Viertel reduzieren und stattdessen einige federnde Bewegungen machen.
Da wird es ungemütlich, denn der Trainer hält sofort den Atem an, wenn er sieht, dass ein Neuling solche Dinge macht.
Kommt aber darauf an, wie der angezogen ist. Wenn er mit fitter App bestückt ist und leuchtende Neon Turnschuhe anhat, dann denkt er, das ist ein Functional Trainer, und der weiß, was er tut.
Aber wenn er die falschen Socken und die falschen Hosen anhat, dann kommt sofort der Trainer rüber und sagt, „darf ich Ihnen mal was sagen? Das ist gefährlich, was Sie hier mit der Langhantel machen“. (Lacht)
Die endgradigen, wippenden Bewegungen kann man auch mit der Butterfly-Zugmaschine machen, aber bitte immer mit geringem Gewicht.
Federnde und hüpfende Bewegungen lassen sich auch in normale sportliche Übungen einbauen.
Mark: Das heißt, immer am Ende die Bewegungsamplitude durch das Federn ausnutzen.
Dr. Schleip: Diese Bewegungen haben wir noch detaillierter in unser zweites Buch „Faszien-Krafttraining“ aufgenommen. Wer regelmäßig Krafttraining macht, für den ist das Buch noch spezifischer geeignet als das erste Buch „Faszien-Fitness„.
Wenn ich an einer Latissimus-Zugmaschine sitze, ziehe ich eine lange Stange von oberhalb des Kopfes zu mir in Richtung Brustkorb nach unten.
Das mache ich normalerweise mit einer langsamen, gleichmäßigen Bewegung, wenn möglich bis zur Erschöpfung. Das ist schön und gut, wenn man Magermasse aufbauen will.
Wenn ich aber auch die Pelle erreichen will, sollte ich im langestreckten oberen Bereich drei bis fünf kleine Wippbewegungen machen. Dann kurz innehalten und dann wieder mit Zeitlupengeschwindigkeit langsam heranziehen.
Das sollte man ein- bis zweimal die Woche machen.
Wenn ich will, dass der Muskel ein bisschen praller wird oder wenn ich eine Kleopatra mit stabilen Schultern bin, dann würde ich endgradige Federungsbewegungen machen. Aber nicht im langgetreckten Zustand, wo die Stange weit oben über meinem Kopf ist, sondern dann, wenn sie bis unter das Kinn oder hinter dem Rücken herangezogen ist.
Mark: Mit entsprechend leichterem Gewicht.
Dr. Schleip: Ja, anfangs ungefähr die Hälfte.
Mark: Klingt, als ließe sich das gut ins reguläre Krafttraining integrieren …
Dr. Schleip: Genau. Allerdings ist die Mentalität eine andere. Ich schätze, dass das auch mit den Hormonen zusammenhängt.
Wenn ich ein muskuläres Krafttraining gemacht habe, dann bin ich auch etwas zupackender im Alltag. Und wenn ich diese kräftige Energie schulen will, dann würde ich kein Faszientraining machen, sondern in eine gedrungene Bullenkraft gehen. Das nennen wir tatsächlich auch „das Bullentraining“.
Zum Ausgleich betritt man zwei Tage später das Studio mit tänzerartigen, katzenhaften Schritten. Und dann die Hantelstange mit halbem Gewicht annehmen und dabei auf eine feinfühlige Körperwahrnehmung achten.
Von der Psychologie und von der Tatkraft her – versus feinfühliger Achtsamkeit – ist es manchmal sogar gut, das zu trennen.
Mark: Die Einstellung, mit der ich ins Training gehe, macht also einen Unterschied. Wie viel Zeit sollte ich aufwenden, wenn ich Krafttraining mit Faszientraining verbinden möchte?
Dr. Schleip: Normalerweise sagen wir, dass zehn Minuten zweimal pro Woche ausreichen.
Hohe Wiederholungszahlen fördern keine bessere oder schnellere Kollagensynthese, wenn es darum geht, die Lendenfaszie zu kräftigen oder die Achillessehne dehnbar zu erhalten.
Heute schaut man nicht nur darauf, wie sich sportliche Belastungen auf Muskelfasern und Kreislauf auswirken, sondern auch darauf, welchen Einfluss sie auf die Kollagensynthese haben.
Es hat sich gezeigt, dass das eher eine asymptotische Kurve ist. Nach einigen Dutzend Wiederholungen hat man bereits eine sehr deutlich verstärkte Kollagensynthese in den folgenden zwei Tagen.
Wenn man jedoch einige Tausend Wiederholungen die Woche hat, dann läuft man Gefahr einer Überlastung.
Mark: Diese Zeit kann sicher jeder aufbringen. Muss ich mich speziell ernähren, um genug Kollagen bereitzustellen?
Dr. Schleip: Man muss nicht, aber man kann es optimieren.
Ernährung und Bewegung sind aus sicht der Faszie nicht gleichwertig. Die Ernährung ist lediglich das i-Tüpfelchen.
Ein Stubenhocker, der anfängt, sich gesund zu ernähren, wird trotzdem weiter verfilzen, wenn er keinen Sport macht.
Man könnte sich mit einem gesunden Faszientraining und anderem sportlichen Training in der Tat einen neuen Faszienkörper schnitzen, ohne dass man sich die optimale Ernährung dazu leistet.
Wer aber bereits in ein sportliches Training investiert, der will meist auch das i-Tüpfelchen haben, und da kann eine bindegewebsfreundliche Ernährung einen Unterschied machen. Das ist im Normalfall das, was als anti-entzündliche Ernährung angesehen wird.
Als tendenzieller Vegetarier habe ich Probleme mit der Gelatine, die normalerweise aus tierischen Produkten hergestellt wird.
Einige Studien zeigen, dass die Einnahme von Gelatine zusätzlich zum sportlichen Training den Kollagenaufbau fördern kann.
Wie verträgt sich die Osteopathie mit Faszientraining?
Mark: Ich möchte nochmal auf das Stichwort „Osteopathie“ eingehen.
Vor einiger Zeit hatte ich Steffen Grasalewski bei Fitness mit M.A.R.K., der als Osteopath an einem deutschen Olympiastützpunkt arbeitet. Es gibt Menschen, die nichts von Osteopathie halten. Ich persönlich habe bei verschiedenen Sportverletzungen sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Wie ist Deine Einstellung dazu?
Dr. Schleip: Ich liebe die Osteopathie. Und ich bin Wissenschaftler und verlasse mich nicht auf Hörensagen und eigene Erfahrungen, sondern auf methodisch gut gemachte Reviews.
Und die letzten hochwertigen Reviews über die Osteopathie waren in der Tat evidenzbasiert.
Sie haben gezeigt, dass die osteopathischen Methoden bei Rückenschmerzen helfen. Nicht besser als eine nicht-osteopathische Behandlung, aber besser als gar keine Behandlung.
Die Osteopathie ist nicht nur deswegen beliebt, weil sie bei Rückenschmerzen hilft, sondern auch, weil der Therapeut den Patienten mit Achtsamkeit behandelt.
Osteopathen denken nicht nur daran, welcher Muskel und welches Schräubchen kaputt ist, sondern sie praktizieren ein vernetztes Denken.
Deswegen war das faziale Bindegewebe für die Osteopathen im Gegensatz zu den meisten westlichen Orthopäden schon immer ein Hauptzielorgan.
Das erklärt, warum die Osteopathie in vielen Fällen dort helfen konnte, wo das herkömmliche medizinische Denken versagt hat.
Wie hält Robert Schleip sich fit?
Mark: Wie hältst Du Dich fit?
Dr. Schleip: Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für Fitness, denn meine Forschungsbesessenheit nimmt mich sehr in Anspruch.
Ich gehe mit großer Begeisterung auf Kinderspielplätze.
In München kann ich Dir sofort sagen, wo es erwachsenenfreundliche Spielplätze gibt.
Wenn ich Kurse mache, auch im Ausland, schaue ich immer bei Google Maps, ob es dort vielleicht irgendwo in Fußnähe des Hotels oder des Fitnesscenters, wo der Kurs stattfindet, einen Kinderspielplatz gibt, wo man hangeln und schwingen kann.
Mein Lieblingsgerät auf den Spielplätzen ist das Kletternetz, das aus Tauen besteht, die im Boden verankert sind.
In die kann man sich wunderbar kopfüber mit den Kniekehlen einhängen und baumeln wie ein Affe. Dort kann ich mich richtig austoben.
Wenn ich den ganzen Tag Orthopäden unterrichtet habe und auf dem Weg zum Bahnhof oder zum Flughafen bin, dann halte ich an, stelle meinen Koffer ab und gehe auf den Spielplatz. Das mache ich vorzugsweise abends, wenn keine Kinder dort sind.
Das ist herrlich.
Mark: Gibt es Erfolge in Deinem Leben, auf die Du besonders stolz bist?
Dr. Schleip: Die klassische Antwort wäre: Mein Summa cum Laude, als ich als Fünfzigjähriger nochmal promoviert habe. Ich habe mich mit einer solchen Begeisterung in die Faszienforschung vertieft, dass ich mit der Höchstnote abgeschlossen habe.
Viel mehr als die persönlichen Errungenschaften beflügeln mich jedoch Erfolge, die ich mit anderen gemeinsam erreicht habe. Das ist uns damals mit dem Kongress an der Harvard Medical School im Jahr 2007 gelungen.
Zurzeit bereiten wir den nächsten großen Faszienkongress vor, der im November 2018 in Berlin stattfinden wird. Schon jetzt sind die 850 Plätze fast ausverkauft.
Wer gerne tiefer in das Gebiet der Faszien eintauchen möchte: Alle drei Jahre findet dieser hochkarätige Faszienkongress statt, und dieses Jahr zum ersten Mal in Berlin. Daraus ziehe ich eine große Befriedigung, weil uns dieser Kongress in gemeinsamer Teamarbeit gut gelungen ist.
Wer das Netzwerk „fasziales Bindegewebe“ besser verstehen will, der tut gut daran, selbst ein guter Netzwerker anstatt eines Einzelkämpfers zu werden.
Ich plädiere dafür, sich zurückzunehmen und sein Wissen großzügig an andere weiterzugeben.
Selbst, wenn das manchmal missbraucht wird, bewegt sich trotzdem das gesamte System immer weiter. Und so kommen große Dinge zustande.
Wie gesund ist die Selbstmassage mit dem Foamroller?
Mark: Ich möchte Dir noch eine Frage aus unserer Community stellen. Stichwort „Faszienrolle“: Arne fragt, ob das Training mit der Faszienrolle schädlich sein kann.
Dr. Schleip: Auch beim Training mit den Faszienrollen ist die Dosis entscheidend.
Die Rollen haben einen erstaunlichen Siegeszug angetreten. Es gibt kaum noch ein Fitnessstudio, wo sie nicht zum Inventar gehören.
Studien haben ergeben, dass die Rollen viele Vorteile für die Regeneration bringen.
Wer nach einem Halbmarathon einen Muskelkater hat, für den kann die Rolle sogar besser geeignet sein als eine klassische Massage.
Und sie hat auch, zumindest kurzfristig, einen fördernden Effekt für die Beweglichkeit der Gelenke.
Aber es gibt nichts Gutes, was nicht ein Extremist übertreiben könnte.
Überlastungsschäden durch Faszienrollen können Besenreißer oder blaue Flecken sein.
Mir sind bisher zwei dokumentierte Fälle bekannt.
Wenn jemand durch eine Foam Roll einen Überlastungsschaden erleidet, dann bitte fotografiert ihn und schickt das Bild an mich weiter.
Daraus können wir lernen: Sind das nur Leute mit schwachem Bindegewebe? Wann treten die Probleme auf?
Personen, die schlechte Venen haben und zu Thrombose neigen, sollten die Unterschenkel nur nach fachlicher Anleitung ausrollen.
Bei den Oberschenkeln, da kann man sich einen Bluterguss holen, aber das ist so wie beim Schlittenfahren oder beim Nordic Walking, dazu muss man vorher keinen Expertenkurs gemacht haben. Man kann natürlich einen Expertenkurs machen. Das wäre noch besser.
Mark: Wie erreicht man Dich am besten?
Dr. Schleip: Man findet mich in den Suchmaschinen. Zu forschungsrelevanten Fragen antworte ich am liebsten.
Erreichen kann man mich unter fasciaresearch.de, das ist unsere Forschungsgruppe an der Universität Ulm.
Wenn es eher um Anwenderfragen geht oder wenn jemand eine neue Idee für eine Übung hat, dann bin ich auch unter fascial-fitness.de von der Fascial Fitness Association zu erreichen.
Mark: Noch ein letztes Wort?
Dr. Schleip: Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, das ist mir wichtig.
Faszienfreundlich ist eine spielerische Ausnutzung des Bewegungsapparats.
Wir sollten unsere Übungen deshalb variieren und dabei auf den Spaßfaktor achten.
Buchtipp: Robert Schleips lesenswertes Buch „Faszien-Fitness“ ist am 4. November 2018 in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen.
- Schleip, Robert (Autor)
Frage: Welche Erfahrungen hast Du mit Faszientraining gemacht? Was nimmst Du aus dem Gespräch für Dich mit? Schreib einen Kommentar.
Bildquellen
Bildquellen im Artikel „Faszien-Fitnes“: © Dr. Robert Schleip, © Shutterstock.com: nkotlyar (Frau mit Faszienroller), Microgen (Bindegewebsmassage im Liegen), Jacob Lund (Seilspringende Frau), fizkes (Mann mit Schulterverspannungen am Schreibtisch), Marco Govel (Sprinterin), rock-the-stock (Myofasziale Massage mit Foamroller auf Oberschenkel).