„Du bist Dein eigener Maßstab. […] Ich finde die Vorstellung schön, dass es jeder in der Hand hat, das Maximale aus seinem Leben zu machen.“
– Sarah Schroeder
Am 26. Dezember 2004 erschüttert das drittstärkste je gemessene
Erdbeben den indischen Ozean.
Eine Tsunamiwelle entsteht, die viele Gebiete in Thailand dem Erdboden gleich macht.
Sarah verbringt damals ihren Urlaub dort und überlebt wie durch ein Wunder.
Zunächst ist sie querschnittsgelähmt. Die Ärzte sagen, sie könne vielleicht nie wieder Sport machen.
Sarah gibt nicht auf, bleibt dran, kämpft für ihren Körper. Mit Erfolg. Heute läuft sie Ironman-Wettkämpfe, macht ihren Pilotenschein und sprüht vor Lebenslust.
In diesem Gespräch teilt sie ihre unglaubliche Geschichte.
Sarah ist eine echte Dranbleiberin. Sie will anderen Menschen Mut machen, ihre persönlichen Ziele nicht aufzugeben – auch, wenn das Leben Dir einen Strich durch die Rechnung zu machen scheint.
Als Podcast hören: Wenn Du lieber zuhörst als liest, kannst Du unser Gespräch über den Player unten hören. Am bequemsten ist es, wenn Du Fitness mit M.A.R.K. abonnierst, z.B. via Apple Podcasts.
Die Shownotes zur Folge findest Du hier.
Dieser Artikel ist die überarbeitete Niederschrift unseres Podcasts.
Viel Spaß beim Lesen!
Die unglaubliche Geschichte einer Dranbleiberin
Mark Maslow: Du bist eine leidenschaftliche Triathletin, Sarah. Wie kam das?
Sarah Schroeder: Früher bin ich regelmäßig gelaufen und Rennrad gefahren. Irgendwann kam das Schwimmen dazu, und dann war es nur noch ein kleiner Schritt zum Triathlon.
Mark: Du siehst aus, als hättest Du schon immer Sport gemacht. Wann hast Du angefangen, Dich für den Sport zu begeistern?
Sarah: In der Schule war ich eher schlechter Durchschnitt und nicht besonders sportlich motiviert.
Vor zehn Jahren ist etwas passiert, das meine Einstellung zum Sport für immer verändern sollte.
Ich hatte einen schweren Unfall und danach musste ich wieder fit werden. Also begann ich, immer mehr Sport zu machen und meine Fähigkeiten auszutesten.
Mark: An welchem Wettkampf hast Du zuletzt teilgenommen?
Sarah: Am Ironman 70.3 im letzten Jahr, der im dänischen Elsinore stattgefunden hat. Das war ein European Championship, und dort hatte ich meine bisherige Bestzeit.
Vielleicht werde ich nächstes Jahr erneut teilnehmen, aber dieses Jahr sicher nicht. Die Vorbereitungen sind sehr intensiv, und die kann ich mir aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit nicht jedes Jahr leisten.
Mark: Wie hast Du für den Ironman trainiert?
Sarah: Auf den Ironman 70.3 habe ich mich fünf Monate vorbereitet und dabei sechsmal in der Woche trainiert.
Der Tsunami
Mark: Du hast erzählt, dass Du vor zehn Jahren einen Unfall hattest und erst dadurch zum Sport gekommen bist. Was ist passiert?
Sarah: Ich habe mit meinem damaligen Freund und seinen Eltern Urlaub in Thailand gemacht. Sicher ahnst Du schon, worauf es hinausläuft.
Es war die Gegend, wo der Tsunami sehr heftig zugeschlagen hat. Ich bin damals von einer zehn Meter hohen Welle überrollt worden und war daraufhin fünf Monate im Krankenhaus.
Mark: Hast Du bei dem Unglück alles mitbekommen?
Sarah: Ja, Gott sei Dank, sonst wäre ich heute nicht mehr am Leben. In dieser Gegend gab es Ebbe und Flut, das heißt, man merkte nicht sofort, dass etwas nicht stimmte.
Wir saßen beim Frühstück am Strand eines kleinen Guesthouses, und irgendwann fiel mir auf, dass man das Meer gar nicht mehr sah. Das Wasser ging zuerst langsam zurück und dann sehr schnell.
Mark: Es war nur noch Sand da?
Sarah: Ich schätze, dass das Wasser etwa einen Kilometer zurückgegangen war. Ich erinnere mich noch, dass der Vater meines Freundes sagte, „da war bestimmt ein Seebeben“. Wir haben nicht geahnt, was gleich passieren würde.
Es war wahrscheinlich unser Glück, dass wir so lange sitzengeblieben sind. Denn wenn der Tsunami kommt und aufs Land trifft, dann hat er sich in eine Wasserwalze verwandelt. Es war keine normale Welle, sondern eine Wand, die sich auf uns zuschob.
Der Wasserdruck ging von oben nach unten und warf uns um. Der Tsunami riss alles mit und hinterließ eine komplette Schlammwüste. Alle Gebäude und Pflanzen waren verschwunden.
Als ich erkannte, was passieren würde, bin ich noch 300 Meter gelaufen, aber die Wasserwalze hatte mich schnell erwischt. Ich bin in den oberen Teil der Welle und damit über die Häuser geschleudert worden. Wäre ich früher losgelaufen, hätte mich die Schlammlawine erschlagen.
Ich hatte Glück im Unglück.
Es war gut, dass wir nicht direkt realisiert haben, was passiert war.
Damals im Jahr 2004 war ich Anfang 20, schlank und relativ fit, aber nicht besonders sportlich. Als die Welle kam, sind alle gleichzeitig losgelaufen, und ich erinnere mich noch daran, dass ich niemanden vor mir hatte. Ich muss also relativ schnell gewesen sein.
Mark: Wie lange warst Du im Wasser, bis Hilfe kam?
Sarah: Gefühlt hat das sehr lange gedauert.
Ich war die ganze Zeit unter Wasser. Das Tödliche an einem Tsunami ist die Rotation seiner Welle. Wenn Du Dich nicht bewegst, wirst Du wie ein Stein nach unten gezogen und gegen alles geschleudert, was die Welle erwischt. Nach zwei Kilometern ist der Tsunami in einer Art Anhöhe ausgelaufen.
Ich spürte, wie ich ertrank. Meine Lunge füllte sich mit Wasser, weil mein Körper dem Druck nicht mehr standhalten konnte, nicht zu atmen.
Und in dem Moment, wo ich dachte, dass ich am Ende meines Lebens angekommen bin, wurde ich an Land gespült.
Das war eine Sache von Sekunden. Ganz plötzlich war ich über Wasser und habe die Augen geöffnet. Der Tsunami hat sich erst gegen das Land gedrückt, dann blieb das Wasser einige Sekunden stehen und ist dann abgeflossen. Das war gruselig.
Dann habe ich mich an diesem Schutthaufen von Verwüstungen hochgezogen, und ich erinnere mich daran, dass ich zugeschaut habe, wie das Wasser abgeflossen ist. Um mich herum war eine einzige Lehmwüste. Ich schaute an mir herunter und entdeckte meine Verletzungen. Mein erster Gedanke war, „das ist Dir jetzt gerade nicht wirklich passiert!“
Es ist ein ganz furchtbares Gefühl, Wasser in der Lunge zu haben. Ich habe dann versucht, wieder einzuatmen und das Wasser abzuhusten. Irgendwann kamen Einheimische mit ihren Autos über die Anhöhe zu Hilfe.
Mark: Ich fühle, dass es wirklich schwer für Dich ist, in diesen Erinnerungen zu wühlen. Aber Du erzählst uns Deine Geschichte, weil Du anderen Mut machen und ihnen helfen möchtest, an ihren Zielen dranzubleiben – nicht aufzugeben, egal, was auch passiert.
Du hattest schwerste Verletzungen und wurdest dann in Deutschland in einer Spezialklinik behandelt. Was haben die Ärzte gesagt?
Sarah: Es gab außer mir noch sehr viele andere Schwerverletzte. Wir wurden zunächst in Thailand operiert. Der Tsunami kam am zweiten Weihnachtstag und kurz vor Silvester wurde ich ausgeflogen.
In Deutschland lag ich knapp eine Woche auf der Intensivstation.
Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, ob ich überhaupt überleben würde.
Der Tsunami hat nicht nur die Hotels weggerissen, sondern auch die Kanalisation. Er war deshalb voller Krankheitserreger. Ich hatte nicht nur schwere Verletzungen, sondern außerdem noch Dengue-Fieber und alle möglichen Infekte. Auch mit einem Hepatitis-Virus bin ich in Kontakt gekommen.
Die Ärzte haben sich zunächst nicht an eine Diagnose getraut. Sie konnten sich nicht erklären, woher mein Fieber kam.
Ein Leben im Rollstuhl?
Sarah: Nach zwei Monaten bekam ich die ersten Prognosen. Aufgrund der Schwere meiner Verletzungen rechnete man damit, dass ich für den Rest des Lebens an den Rollstuhl gefesselt sein würde.
Meine Nerven waren schwer beschädigt, und das sind sie auch heute noch. Aber ich kann wieder laufen.
Mark: Was ging da in Deinem Kopf vor?
Sarah: Als ich das erste Mal gehört habe, dass ich mich wahrscheinlich nie wieder werde normal bewegen können, war das natürlich ein Schock.
Ich vertraute den Ärzten und klammerte mich an ihr Urteil. In einer solchen Situation denken manche Menschen: „Jetzt erst recht, denen werde ich es zeigen!“
Mir liegt es jedoch sehr am Herzen, allen Hörerinnen und Hörern weiterzugeben, dass es ganz normal und in Ordnung ist, nicht so zu denken.
Wenn einem etwas Schlimmes passiert, dann ist es okay, erstmal am Boden zerstört zu sein.
Ich klammerte mich an jemanden, der mir das Urteil abnimmt – die meisten Menschen tun das.
Es ist ein Prozess, von dem Du Dich später ein Stückweit verabschiedest. Erst dann beginnst Du, selbst zu schauen: „Was ist möglich?“.
Mark: Wie ging es dann weiter?
Sarah: Insgesamt war ich drei Monate auf der Intensivstation und danach nochmal zwei Monate auf der normalen Station.
Der Stationsarzt machte Übungen mit mir, um herauszufinden, welche Körperteile ich spüren kann.
Ich sollte die Zehen bewegen. Aber es funktionierte nicht.
Ich erinnere mich noch an den Blick, den er meinem Vater zuwarf. In dem Moment dachte ich: „Was, wenn es so bleibt?“
Mein Körper zeigte mir meine Grenzen: „Du kannst Deinem Gehirn hundertmal den Befehl geben, mich zu bewegen, es funktioniert trotzdem nicht“.
Für mich war das der reine Horror. Anfangs ging es unglaublich langsam voran. Daneben hatte ich Probleme mit dem Kreislauf, als ich wieder anfing, mich zu bewegen.
Mark: Wann hast Du gespürt, dass es voranging?
Sarah: Das hat mindestens einen Monat gedauert. Der Körper heilt in seinem eigenen Tempo. Für mich hieß das:
Du musst Deinem Körper die Zeit geben, die er braucht.
Als ich aus dem Krankenhaus kam, war ich weiter krankgeschrieben und lief auf Krücken.
Als ich entlassen wurde, meinten die Ärzte:
„Es dauert mindestens anderthalb Jahre, bis Du wieder Sport machen kannst.“
Aber sie waren sich nicht sicher, ob ich überhaupt mal wieder dazu in der Lage sein würde.
„Wir werden sehen“, dachte ich mir.
Das war der Punkt, an dem ich begann, Hoffnung zu schöpfen.
Schritt 1: Vom Rollstuhl aufs Ergobike
Sarah: Ich konnte zwar noch nicht laufen, aber ich konnte Auto fahren. Also bin in ein Fitnessstudio in Aachen gefahren.
Dort habe ich mich auf ein Cardio Fahrrad gesetzt. Ich dachte, ich könnte mir damit nicht schaden, und das war auch von den Schmerzen her einigermaßen erträglich.
Ich habe mehrere Wochen täglich auf dem Cardiobike trainiert, aber keinem davon erzählt.
Zweimal in der Woche hatte ich Physiotherapie, und die Therapeutin kam zur mir nach Hause, weil sie der Meinung war, dass ich mich nicht wegbewegen könnte.
Mark: Du hast es niemandem erzählt?
Sarah: Alle haben sich unheimlich Sorgen gemacht.
Wenn man lange krank ist, dann verliert man den Bezug zu seinem Körper.
Diese Bewegung, auch wenn sie eine ganz einfache war, hat mir geholfen, die Verbindung zu meinem Körper wiederherzustellen.
Die Physiotherapeutin freute sich darüber, wie schön meine Verletzungen heilen würden.
Zunächst habe ich nur auf dem Ergometer trainiert, später auch auf dem Crosstrainer.
Wenn man verletzt ist, sind die Geräte besonders gut, weil man durch die Bewegung geführt wird.
Das ist jetzt zehn Jahre her.
Seit diesem Zeitpunkt habe ich mein sportliches Pensum immer weiter gesteigert. Und mit diesem Ergometer fing es an.
Schritt 2: Vom Ergobike auf den Crosstrainer
Mark: Als Du auf den Crosstrainer gestiegen bist, konntest Du wahrscheinlich auch wieder gehen.
Sarah: Ja, aber ich habe noch ziemlich lange gehumpelt. Mein Körper war vom monatelangen Liegen geschädigt.
Ich wollte meine Gelenke wieder in Schuss bringen und habe mir etwas gesucht, was Spaß macht.
Da habe ich dann in Aachen einen sechswöchigen Breakdance Kurs gemacht – auch, wenn die Verletzungen noch nicht verheilt waren. (Lacht)
Mark: Wow!
Sarah: Danach habe ich erst recht einige Wochen gehumpelt! (Lacht)
Mark: Konntest Du die Breakdance-Übungen ausführen?
Sarah: Ja. Ich habe mich immer gut mit Schonern eingepackt, und das hat funktioniert.
Die Warm-up- und Dehnübungen haben meiner Mobilität sehr geholfen.
Ich war es leid, mich weiter zu schonen. Das tat ich schon so lange.
Ich wollte meinem Körper zeigen, welche Bewegungen für ihn normal sind.
Das war damals mein absolutes Highlight. Als ich diesen Kurs gemacht habe, fing ich parallel wieder an zu arbeiten, damals mit einer Wiedereingliederung.
Schritt 3: Mit Breakdance zurück ins Berufsleben
Mark: Was hast Du beruflich gemacht?
Sarah: Ich habe als Bankkauffrau in einer Sparkasse in Aachen gearbeitet. Heute bin ich Unternehmensberaterin. Ich habe damals viel Aufmerksamkeit bekommen, weil mich in der Bank viele Leute kannten.
Jeder hatte vom Tsunami gehört, und viele Leute haben mich darauf angesprochen. Das ist mir sehr schwergefallen. Wenn jemand einen Unfall hat, krank ist oder eine schlimme Verletzung hat, dann darf man abwägen, was weiterhilft – sowohl der Person als auch demjenigen, der fragt.
Bei mir war es so, dass die Nachfragen, die ich bekommen habe, sicher gut gemeint waren. Aber sie bewirkten, dass ich das Unglück immer wieder durchlebt habe und immer wieder daran erinnert wurde.
Heute ist mir wichtig, dass der Fokus nicht auf meine extreme Geschichte gelegt wird.
Viele Menschen erleiden Rückschläge, die sie verkraften müssen, und sie freuen sich vielleicht über Tipps, wie man damit umgeht.
Wichtig ist, dass man etwas Positives daraus machen kann.
Mark: In meinem Arbeitszimmer habe ich ein Vision Board mit meinen Zielen hängen. Und eines dieser Ziele ist, einen Breakdance Kurs zu machen.
Sarah: Oh, cool! (Lacht)
Mark: Den hast Du mir voraus! Was hat sich durch diesen Kurs zum Positiven verändert?
Sarah: Breakdance war etwas, was ich vor dem Unfall niemals im Fokus hatte, genauso wenig wie den Ironman Triathlon.
Durch die Teilnahme habe ich etwas besonderes erfahren:
Es gibt viel Neues zu entdecken, wenn Du neugierig bleibst und die Augen offenhältst.
Der Kurs ging über einen längeren Zeitraum, und am Ende stand ein gemeinsamer Auftritt mit einer Choreographie.
Mark: Waren Deine Bekannten bei dieser Aufführung dabei?
Sarah: Nein, das habe ich natürlich keinem erzählt.
Mark: Wie lange war das, nachdem Du aus dem Krankenhaus rausgekommen bist?
Sarah: Ende Mai bin ich aus dem Krankenhaus gekommen, also nach fünf Monaten, und die Aufführung war im August. Damit klärt sich auch die Frage, warum ich es keinem erzählt habe, denn jeder hätte mich für absolut verrückt erklärt.
Meine Vorgehensweise ist kein Allgemeinrezept. Ich möchte damit zeigen, dass man seinem Bauchgefühl trauen darf.
Wenn man Lust darauf hat, sich selbst in einem neuen sportlichen Szenario auszuprobieren, dann soll man das auf jeden Fall versuchen:
Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Dass etwas nicht funktioniert.
Hätte ich es nicht bis zur Aufführung geschafft, dann hätte ich trotzdem die vorbereitenden Übungen mitgemacht und meinem Körper dadurch viel Gutes getan.
Das war ein Abenteuer, das sich gelohnt hat. Auch, wenn es nicht immer schmerzfrei war.
Schritt 4: Mit dem Fahrrad über die Alpen
Mark: Wie ging es dann weiter?
Sarah: Durch das Training am Ergometer im Fitnessstudio bin ich wieder zum Radfahren gekommen.
Schließlich bin ich die Tour Transalp mitgefahren, eines der härtesten Alpenrennen.
Du sitzt eine Woche lang den ganzen Tag auf dem Fahrrad und überwindest 20.000 Höhenmeter und rund 1.000 Kilometer.
Das war, bevor ich mit dem Triathlon begann.
In meiner Situation durfte ich mir eine Sportart aussuchen, die nicht so sehr auf die Knochen geht.
Alles andere wäre kontraproduktiv gewesen.
Aber beim Radfahren trägt das Rad das Körpergewicht, also kannst Du nicht viel kaputtmachen – es sei denn, Du legst Dich auf die Nase.
Auch Schwimmen ist sehr schonend, aber für mich ging das damals noch nicht. Es erinnerte mich zu sehr an das, was ich 2004 in Thailand erlebt habe.
Mark: Was hat Dich daran gereizt, sieben Tage nonstop mit dem Rad über die Alpen zu fahren?
Sarah: Die Alpenüberquerung gefällt mir besonders gut, weil man ein wunderschönes Ziel hat.
Man überwindet diese unzähligen hohen Berge, und irgendwann liegt das Meer vor einem.
Die Tour war sehr hart. Aber sie war auch eine der schönsten Erfahrungen, die ich bisher in meinem Leben gemacht habe.
Mark: Was hat sich für Dich durch diese Teilnahme verändert?
Sarah: Ich bin auf einer viel besseren Position gefahren als erwartet und habe erfolgreich gegen die Herren gekämpft.
Ich habe bei der Transalp das erste Mal gemerkt, dass ich körperlich weiter gehen kann, als ich dachte.
Bei den Frauen, die mitgefahren sind, war ich im vorderen Drittel.
Durch meine Nervenschädigungen habe ich nur 60 Prozent Kraft im linken Bein.
Das war eine besondere Herausforderung, und ich habe mich darauf konzentriert, bestmöglich damit umzugehen.
Mark: Wie genau hast Du das gelöst? Im Kraftsport kann man durch Training die so genannte Mind-Muscle-Connection verbessern. Dabei geht es darum, die vorhandenen Muskelfasern bestmöglich zu aktivieren …
Sarah: Genau. Das Training gibt einem die Gelegenheit, in sich hineinzuhören.
Dabei sollte man genau darauf achten, wie der Körper reagiert und wie er versucht, seine Schäden zu umschiffen.
Man sieht das zum Beispiel bei Personen, die ein kaputtes Knie haben. Irgendwann ist ihr Schmerz weg, und sie fühlen sich gut, aber wenn man ihnen beim Laufen zuschaut, dann erkennt man weiterhin ihre Beeinträchtigungen.
Die Herausforderung ist, zu erkennen, wie der Körper mit einer Belastungssituation umgeht und darauf dann aufzubauen.
Bei mir ist es das Ergebnis, dass ich beim Radfahren mit dem linken Bein leichter trete als mit dem rechten. Oder dass ich beim Laufen links anders aufsetze als mit dem rechten Bein.
Wenn man klug mit den Signalen des eigenen Körpers umgeht, dann kann man scheinbar unerreichbare Grenzen überwinden.
Beim Rennradfahren war das für mich die Kraft, die ich aufs Pedal geben konnte.
Man hatte mir vorher zwar bescheinigt, dass diese Kraft nicht für ein Radrennen reichen würde, aber das stimmte nicht. Ich musste lediglich viel aufmerksamer sein.
Das ist auch beim Laufen so.
Meine längste Strecke war bisher der Halbmarathon, und aufgrund meiner Verletzungen werde ich wohl nie eine Marathonläuferin werden.
Ich finde es großartig, wie der Körper versucht, sich vor Verletzungen zu schützen.
Der Tsunami war ein schlimmes Erlebnis, und ich war viele Jahre lang in Psychotherapie. Ich habe mehr tote Menschen gesehen als die meisten Ärzte.
Viele Menschen denken, dass die Psychotherapie ausreicht, um Erfahrungen zu verarbeiten. Bei den ganzen Ereignissen gab es einen Zeugen, der auch dabei war, und das ist mein Körper.
Körper und Geist sind miteinander verbunden, aber sie können unterschiedlich reagieren.
Wenn ich heute ein Krankenhaus betrete, dann hat mein Kopf keine Angst mehr, aber mein Körper reagiert panisch. Ich erkläre mir das so, dass der Körper schlimme Erfahrung abspeichert.
Wie negative Signale Deines Körpers Dir helfen können, um stärker zu werden
Mark: Er versucht, Dich zu schützen.
Sarah: Genau. Gestern Abend saß ich im Flugzeug, und bei der Landung hat es ziemlich gewackelt.
Mein Körper geriet in Alarmbereitschaft, obwohl ich überhaupt keine Angst vorm Fliegen habe. Ich mache sogar gerade meinen Pilotenschein.
Mark: Vielleicht nimmst Du diese Symptome bewusster wahr als andere Menschen?
Als ich jünger war, habe ich die Grenzen meines Körpers beim Sport nicht erkannt oder respektiert. Das Ergebnis war eine eineinhalbjährige Verletzungspause, in der ich nur eingeschränkt trainieren konnte.
Einerseits war das wirklich unnötig. Aber andererseits lernte ich so, auf die Signale meines Körpers zu hören.
Wie gehst Du damit um, wenn Du während einer sportlichen Herausforderung Schmerzen oder Angst bekommst?
Sarah: Ich gebe mir Zeit, um den Erkenntnisprozess zu verstehen.
Beim Ironman letztes Jahr in Elsinore sind wir mit einem Sprung vom Hafenbecken ins eiskalte Meer gestartet. Mir schnürte es die Kehle zu, und der Bauch zog sich zusammen.
In solchen Situationen hilft es mir, das Ganze nicht einfach unter „Angst“ abzuhaken.
Ich will verstehen, warum mein Körper gerade nicht so reagiert, wie geplant.
In welchen Survival Modus schickt er mich, um mich zu schützen?
Der nächste Schritt ist, dankbar dafür zu sein.
Ich bin dankbar dafür, dass meine körperlichen Systeme so gut funktionieren und dass mein Körper die Wichtigkeit der Situation versteht und darauf reagiert.
Es gibt kein Paraderezept dafür, wie man mit solchen Situationen umgeht.
Jeder muss seine eigenen Grenzen erfahren.
„Wenn man keine Angst hat, dann ist es nicht wichtig“, sagt ein Spruch.
Wenn ich beim Ironman am Start stehe und mir stehen die Nackenhaare nicht zu Berge, dann ist dieser Wettkampf nicht die Challenge, die er sein sollte.
Wie trainiert man für eine Alpenüberquerung auf dem Fahrrad?
Mark: Wie hast Du Dich auf die siebentägige Alpenüberquerung vorbereitet?
Sarah: Mit einem Intervalltraining auf Mallorca. Dort war ich in einem zweiwöchigen Trainingslager.
Man muss die Beinmuskulatur richtig fordern, denn die Belastungen bei der Alpenüberquerung sind durch die langen Steigungen sehr hart.
Ein Alpenpass kann 30 Kilometer lang sein, und wenn Du mit 14 km/h hochfährst, bist Du drei Stunden nonstop bergauf unterwegs.
Du brauchst einerseits viel Ausdauer und andererseits Kraft.
Bergauf musst Du in einer kontinuierlich hohen Wattzahl den Berg hochtreten.
Außerdem habe ich mein Rennrad zu Hause auf eine Rolle aufgespannt, mit deren Hilfe man Bergfahrten simulieren kann.
Mark: Wie sieht so ein Training auf der Rolle aus, kann man dabei Fernsehen?
Sarah: Wenn man die Intervalle fährt und sich an einen Trainingsplan hält, dann kann man sich nicht gleichzeitig auf andere Dinge konzentrieren. Mir ist auch vom Spinning abgeraten worden.
Wie beim Ironman hast Du bei der Transalp ein zeitliches Ziel, bis zu dem Du fit sein musst. Die Spinning Kurse im Fitnessstudio sind jedoch auf eine – für dieses Ziel – zu hohe Intensität ausgelegt, bei der Du zu oft in den roten Bereich gehst.
In der Vorbereitung auf die Transalp musst Du Dich langsam steigern.
Große Wettkämpfe wie die Transalp oder wie der Ironman, sind natürlich auch eine Kopfsache.
Die Tage bei einer Transalp sind lang. Manchmal sind wir im strömenden Regen und bei Schnee gefahren, und bei den dünnen Rennradreifen muss man aufpassen, dass man nicht ausrutscht und hinfällt. Nicht selten verschätzt man sich, und dann passieren Unfälle.
Wie überwindest Du emotionale Tiefpunkte und bleibst weiter dran?
Mark: Ein Marathon ist für mich ein Bad der Emotionen von Wut über Verzweiflung bis hin zu absoluter Euphorie. Diese Situation sieben Tage lang aushalten zu müssen, stelle ich mir sehr herausfordernd vor.
Vielleicht hast Du Dir gedacht, „was mache ich hier eigentlich? Ich könnte jetzt absteigen, und dann ist die Sache vorbei.“ Wie hast Du diese emotionalen Täler durchschritten? Was hat Dir in diesen Momenten geholfen, an Deinem Ziel dranzubleiben?
Sarah: Natürlich gab es diese Momente.
Du bist oben auf einem super hohen Berg bei fünf Grad Celsius. Du bist durchgefroren, es gibt nichts mehr zu essen, und um Dich herum sind alle Leute schlecht drauf.
Aber wie es so schön heißt, „if you’re going through hell, keep going“.
Das Schöne an einem Tal ist, dass man den Berg überwunden hat.
Und so war es auch bei der Transalp.
Interessanterweise erinnere ich mich im Rückblick mit einem lachenden Auge an die schwierigen Momente. Das ist auch beim Triathlon so. Ich habe natürlich noch den Zieleinlauf vor Augen, aber ich habe vor allem auch noch in Erinnerung, was alles nicht funktioniert hat.
Die Herausforderung ist, Hindernisse zu überwinden und nicht, eine einfache, gerade Strecke zu fahren.
Es gehört bei einem langen Wettkampf wie der Transalp auch dazu, dass natürlich nicht jeder Tag geil ist. Im Gegenteil,
Hindernisse und Schwierigkeiten gehören dazu.
Auch Schmerzen und Ängste gehören dazu. Man soll etwas Positives aus diesen Erfahrungen mitnehmen und dann weitergehen auf die nächste Reise oder auf die nächste Transalp.
Was sind Deine nächsten Ziele?
Mark: Was ist Dein nächstes Reiseziel?
Sarah: In Norwegen findet ein Ironman statt, an dem ich sehr gerne teilnehmen würde. Ich mache im Moment viel Krafttraining und habe mit CrossFit angefangen.
Es gibt einige Dinge, die ich in Zukunft schaffen möchte. Zum Beispiel möchte ich einen freien Handstand lernen oder bestimmte Crossfit Übungen meistern. Das wird durch die Verletzungen, die ich habe, eine große Herausforderung.
Wechselzeiten: Auf dem Weg zum ersten Triathlon
Mark: Ein Thema möchte ich noch ansprechen. Du hast in dem Kinofilm „Wechselzeiten“ mitgespielt.
Sarah: Der Film war 2014 im Kino, und letztes Jahr ist er in der ARD ausgestrahlt worden.
Mark: Wie kam es, dass Du in dem Film mitgemacht hast?
Sarah: Für den Hamburg-Triathlon gibt ein so genanntes „Rookie-Programm“. Professionelle Trainer bereiten die Teilnehmer auf ihren ersten Triathlon vor.
Im Film geht um die Geschichte von vier Menschen und was sie zum Hamburg Triathlon motiviert.
Wir vier sind alle sehr unterschiedlich. Auch das, was uns antreibt, ist unterschiedlich.
Der Regisseur des Films, Guido, ist Mitglied in unserem Triathlon Verein und hat uns von dem Auftakttreffen der Rookies erzählt. Er konnte sich gut vorstellen, einen Film darüber zu drehen. Er fragte uns, ob jemand Lust hätte, über seine Motivation zu erzählen.
Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was mich damals geritten hat, weil ich normalerweise nicht viel über meinen Unfall rede. Auch jetzt im Moment reden Du und ich beide darüber, und ich vergesse, dass es vielleicht bald viele Tausend Menschen hören werden.
Wechselzeiten war allerdings nicht als Kinofilm geplant. Nach der Hälfte der Dreharbeiten kam das Ergebnis jedoch so gut an, dass der Film ins Kino gebracht werden sollte.
Als ich dazu „ja“ sagte, ging ich davon aus, dass es nur ein Film für unseren Triathlonverein werden sollte. Aber auf einmal war der Film tatsächlich deutschlandweit im Kino und dann wurde er auch noch in der ARD ausgestrahlt.
Für die Dreharbeiten gilt das gleiche wie für unser Gespräch hier:
Ich erzähle meine Geschichte nicht, um auf mich aufmerksam zu machen.
Ich erzähle sie auch nicht, damit die Leute denken, wie großartig ich das alles hinbekommen habe. Das ist mir nicht wichtig.
Ich möchte Menschen zeigen, dass es ganz viel gibt, was man nach einem persönlichen Schicksalsschlag machen kann.
Besonders, wenn einen die Ärzte bereits aufgegeben haben.
Wenn man aufmerksam auf den eigenen Körper hört und sich ausprobiert, dann kann man dabei sogar Spaß haben.
Der Chirurg in Hamburg, der mich mehrmals operiert hat, geht oft auf Tagungen, wo er über seine OPs referiert. Dort erzählt er voller Begeisterung, dass er eine Patientin hat, die heute den Ironman mitmacht.
Für mich ist das nichts Besonderes mehr. Du hast oft sehr interessante Interviewpartner hier, Mark, die große sportliche Leistungen vollbracht haben. Das bewundere ich. Wer mit Verletzungen oder mit Schmerzen zu kämpfen hat, der sollte sich nicht ausbremsen lassen.
Man muss auch keinen Ironman machen.
Wenn der Zehn-Kilometer-Lauf das sportliche Highlight des eigenen Lebens ist, dann ist das super und völlig in Ordnung.
Man sollte auch aufpassen, mit wem man sich vergleicht und sich nicht davon einschüchtern lassen, wenn anderen etwas leichter fällt als einem selbst.
Mark: Den Film gibts im Streaming, und man kann ihn auch als DVD kaufen.
Sarah, vielen Dank für Deine Offenheit! Mir gibst Du sehr viel Kraft durch Deine Geschichte, und ich glaube, dass es unseren Zuhörerinnen und Zuhörern genauso geht.
Gibt es zum Abschluss noch irgendetwas, was Du unseren Zuhörerinnen und Zuhörern mitteilen möchtest?
Sarah: Man liest häufig den Spruch, „man lebt nur einmal“. Ich habe erlebt, dass dieser Spruch wahr ist. Und wenn man Glück hat, bekommt man noch eine zweite Chance.
Ich finde die Vorstellung schön, dass es jeder in der Hand hat, das Maximale aus seinem Leben zu machen.
Man muss nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen, aber man kann seine Chancen nutzen. Es gibt so viele Abenteuer, die auf einen warten und die man nicht verpassen sollte.
Frage: Sarahs Offenheit, ihre Geschichte mit uns zu teilen, erfordert eine ganze Menge Mut. Und Mut ist es, den sie anderen Menschen mitgeben möchte, sich nicht mit ihrer jetzigen Situation abzugeben. Also frage ich Dich: Gibt es etwas, das Du nach der Lektüre dieses Gesprächs anders machen möchtest? Eine Herausforderung, die Du jetzt angehen willst? Schreib einen Kommentar.
Bildquellen
Fotos im Artikel: © Sarah Schroeder.