Welche Fertigkeiten und Fähigkeiten verbindest Du mit Fitness? Fragst Du Dich, ob Du Klimmzug, Handstand, Muscle-Up oder Human Flag jemals lernen können wirst? Du kannst. Indem Du dieser Anleitung folgst.
Was gehört eigentlich dazu, um etwas zu lernen, was Du bisher noch nicht konntest?
Egal, ob anspruchsvolles Bodyweight Training oder das Erlernen einer Sprache:
Der Lernprozess ist stets der gleiche.
Und den solltest Du kennen. Denn sonst ist unnötiger Frust vorprogrammiert. Zu viele Menschen werfen das Handtuch – nur, weil sie nicht wussten, dass sie kurz vor dem Durchbruch standen.
Aber wenn Du die Schritte kennst, weißt Du exakt, worauf es beim Lernen neuer Fertigkeiten ankommt. Wie Du ein Plateau überwindest. Und dass 20 Stunden genug sind.
Klingt zu schön, um wahr zu sein? Dann lies weiter.
Du kannst jede Fertigkeit erlernen.
Das ist unsere These.
Podcast zum Artikel bei Fitness mit M.A.R.K.
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Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Marco Meyer. Marco ist leidenschaftlicher Kampfsportler mit über 20 Jahren Trainingserfahrung. Mit seinem Blog Kraftimpuls hilft er Menschen dabei, sicher und schnell neue sportliche Fähigkeiten – etwa einen Handstand – zu erlernen.
Damit übergebe ich das Wort an Marco. Viel Spaß beim Lesen!
Er kam gerade aus dem Gefängnis.
Beeindruckt beobachte ich seine Trainingsroutine.
10 freie Handstand-Liegestütze, mehrere Hundert Liegestütze und Sit Ups.
South Central, Los Angeles. Ich sitze in meiner kleinen Wohnung und blicke auf das Grundstück eines Halfway Hauses.
Ein Halfway Haus ist eine Resozialisierungseinrichtung, in der ehemalige Gefängnisinsassen für ein paar Monate betreut werden, um sie wieder in den gesellschaftlichen Alltag zu integrieren.
Warum ich damals im Getto zwischen Crips und Bloods lebte, ist eine eigene Geschichte. Viel wichtiger ist die Frage, warum der Typ freie Handstand-Liegestütze kann. Was hat ihn dazu motiviert?
Die Faszination des Könnens: Warum Fertigkeiten?
Ich beschließe, ihn zu fragen. Kurz darauf, als ich mit meinem Hund entlang der Vernon Avenue spazieren gehe, ergibt sich die Gelegenheit.
Mein Rundgang führt mich am Halfway Haus vorbei. Zwei ehemalige Knackis fegen den Eingang. Einer von ihnen ist Jones, der Handstand-Typ.
Jones schaut rüber und nickt mir zu. Ich grüße zurück. Ein Zeichen von Respekt. Wir sind uns schon mehrmals über den Weg gelaufen.
Ich: Ich habe gesehen, wie Du freie Handstand-Liegestütze gemacht hast. Ziemlich cool. Wie viele schaffst Du am Stück?
Jones: Danke, Mann! Ich glaube, ich schaffe 20 oder so.
Ich: Krass. Das sind viele. Warum Handstand-Liegestütze und nicht normale Liegestütze oder Gewichtheben?
Jones: Weißt Du, ich habe in meinem Leben schon Millionen von Liegestützen gemacht und wollte einfach etwas Neues ausprobieren. Der Handstand ist eine coole Fertigkeit, auf die ich aufbauen kann.
Ich: Wie meinst Du das?
Jones: Ich trainiere zum Beispiel gerade den einarmigen Handstand. Kraft und Ausdauer haben eben ihre Limits, Skills nicht.
Was Jones motiviert, ist der Prozess des besser Werdens. Beim Kraft- und Ausdauertraining ist er an seine Grenzen gestoßen.
Skills ermöglichen Dir, permanent Fortschritte zu sehen.
Vielleicht hast Du Trainieren wie im Knast gelesen, vielleicht trainierst Du nach Fit ohne Geräte, machst Freeletics, CrossFit oder Yoga – und willst jetzt neue Skills lernen.
Unter anderem den Handstand, den Muscle Up, Human Flag, Radschlag, V-Sitz oder sogar Extremsportarten wie Skateboard fahren oder surfen.
Vielleicht geht es Dir auch einfach wie mir: Du siehst ein Video wie dieses hier …
… und denkst:
„Geil, das will ich auch können!“
Wo fängst Du an? Was, wenn die Fortschritte ausbleiben? Wie lernst Du am besten? Muss man dafür nicht Talent haben? Oder schon als Kind mit dem Training begonnen haben (weil der Zug sonst angeblich abgefahren wäre)?
Keine Sorge, die Antworten auf diese Fragen bekommst Du in diesem Artikel:
- Was ist der Unterschied zwischen Fähigkeiten und Fertigkeiten?
- Brauchst Du Talent, um einen Handstand zu lernen – oder eine andere Fertigkeit?
- Das Geheimnis des „Könnens“: Ein 3 Schritt Prozess, wie Du jede Fertigkeit erlernen kannst.
- Zum Schluss gibt es 7 Tipps, die Dir helfen, Fertigkeiten schneller zu lernen, damit Du an Deinen Freunden und Mitstreitern vorbeiziehst (hätte ich das vor 10 Jahren gewusst, dann wäre ich jetzt doppelt so weit).
Zuerst solltest Du ein paar Dinge wissen. Zum Beispiel, dass Skill auf Deutsch nicht Fähigkeit heißt, sondern Fertigkeit.
Ein kleiner, aber feiner Unterschied …
Warum Du nicht jede Fähigkeit besitzt, aber (fast) alle Fertigkeiten lernen kannst
Fähigkeiten und Fertigkeiten.
So ähnlich die beiden Begriffe klingen, so unterschiedlich sind sie.
Fähigkeiten ≠ Fertigkeiten.
Ich muss dabei immer an Holland und die Niederlande denken. Jeder kennt sie, aber die wenigsten kennen den Unterschied.
Vermutlich liegt es auch daran, dass Fertigkeiten und Fähigkeiten voneinander abhängen. In Wörterbüchern sind die Begriffe wie folgt definiert.
Die Definitionen helfen etwas, aber für unsere Zielsetzung sollten wir sie noch klarer abgrenzen:
FÄHIGKEITEN sind Dir in die Wiege gelegt.
FERTIGKEITEN erlernst Du.
Wenn wir über Fähigkeiten reden, heißt das: Jeder von uns hat Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer, Koordinationsvermögen und Geschicklichkeit (um nur einige zu nennen). Bei jedem von uns sind diese Fähigkeiten verschieden stark ausgeprägt.
Es macht nichts, wenn eine Fähigkeit noch keine Stärke ist:
Fähigkeiten verbesserst Du, indem Du sie trainierst.
Zum Beispiel macht richtiges Krafttraining jeden Menschen stark – auch, wenn er noch so schwach war.
Und Fertigkeiten? Kein Mensch wird mit Fertigkeiten geboren. Wir fangen alle bei null an. Sprechen, Laufen, Schreiben, Bankdrücken, Klimmzüge, Handstand und Muscle Ups – keiner von uns kann das von Geburt an.
Fertigkeiten erlernst Du im Laufe Deines Lebens.
Nachdem Du sie erlernt hast, kannst Du sie weiter trainieren und verbessern.
Das bringt uns zur nächsten Frage.
Ich höre oft, dass Talent wichtig ist, wenn Du eine Fertigkeit erlernen willst. Aber stimmt das wirklich?
Was ist Talent – und wie wichtig ist es?
„Der Mythos vom Talent ist eine irrige Vorstellung der Volkspsychologie“
–Sloboda 5
Erfolgreiche Sportler werden in den Medien zwar oft als Talent bezeichnet. Aber das heißt nicht, dass Talent eine Voraussetzung ist, um Erfolg zu haben.
Viele glauben, dass Profisportler wie Usain Bolt, Mohamed Ali, Dirk Nowitzki, Steffi Graf und Fabian Hambüchen unerreichbar sind – weil sie Talent haben.
Sie glauben, diesen Menschen sei eine Begabung in die Wiege gelegt worden. Sie hatten Glück, waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort … und das sei der Grund für ihren Erfolg.
Klar. Begabung spielt eine Rolle. Glück spielt eine Rolle. Aber das Wichtigste wird oft übersehen:
Erfolgreiche Sportler ARBEITEN für ihren Erfolg.
Ich mag dieses Zitat von Will Smith: „Talent hast Du von Natur aus. Fertigkeiten werden nur durch stundenlange, harte Arbeit entwickelt.“
Damit bringt er es auf den Punkt:
Talent ist überbewertet.
Talent tritt erst zum Vorschein, wenn Du es mit Training kombinierst. Und wenn Du nach ganz oben willst, dann spielt Training die Hauptrolle. Viel Training.
Die Gute Nachricht: Wer eine Fertigkeit wie einen Handstand lernen will, braucht sich nicht mit der Weltspitze zu messen – geschweige denn ganz nach Oben zu kommen.
Um Fertigkeiten zu lernen, brauchst Du kein Talent.
Alles, was Du benötigst, sind ein Ziel, Training, Geduld – und die richtige Einstellung.
In 3 Schritten vom Clown zum Könner: So erlernst Du jede Fertigkeit
Wo fängst Du an, wenn Du eine Fertigkeit, wie den Handstand, lernen willst? Alle, die nach einer universellen Standardlösung suchen, muss ich leider enttäuschen.
Es kommt auf die Fertigkeit an. Und auf den Menschen.
Auch, wenn es keine One-Size-Fits-All-Lösung gibt, …
… existieren Prinzipien. Und die gelten für jede Fertigkeit der Welt. Trainingspläne, die funktionieren, fußen darauf. Deswegen …
… basiert jede Fertigkeit auf universellen Prinzipien.
Und genau diese Prinzipien lernst Du jetzt kennen. Dadurch bekommst Du einen Überblick, an welcher Stelle des Lernprozesses Du Dich jetzt gerade befindest.
Die 3 Phasen einer Fertigkeit: In welcher befindest Du Dich?
Bruce Lee, Fitts & Posner und Carl Paolis unterteilen den Lernprozess einer Fertigkeit in drei Phasen.678 Wir können sie wie folgt benennen:
- Natürliche Phase,
- Mechanische Phase und
- Kreative Phase.
Lass uns die drei Phasen nacheinander anhand zweier Beispiele durchgehen: Selbstverteidigung und Handstand.
Fertigkeiten lernen #1 – Natürliche Phase
In der natürlichen Phase bist Du noch ein blutiger Anfänger. Ohne einen Plan davon zu haben, was eigentlich zu tun ist.
Das bedeutet:
- In der Selbstverteidigung: Wenn Dich jemand angreift, dann reagierst Du instinktiv. Du schlägst und blockst irgendwie. Ohne zu wissen, was richtig oder falsch ist.
- Für den Handstand: Du siehst, wie jemand den Handstand macht und probierst ihn einfach aus. Ohne Anleitung. Vielleicht klappt es (extrem selten), meistens (noch) nicht.
Solange Du Dich in der natürlichen Phase befindest, brauchst Du Dir über Trainingsmethodik keine Gedanken zu machen.
Es geht zunächst darum, überhaupt anzufangen und eine Trainingsgewohnheit aufzubauen. Mehr nicht.
Fertigkeiten lernen #2 – Mechanische Phase
Die mechanische Phase beginnt mit Deinem ersten echten Training. Jetzt lernst Du zielgerichtete Techniken und Methoden. Du befolgst Anweisungen.
Das bedeutet:
- In der Selbstverteidigung: Du lernst verschiedene Schläge, Tritte, Würfe etc. Du lernst, was richtig und was falsch ist. Leider mischt sich Denken in Deine natürlichen Reflexe ein und dadurch kommt es oft zu stockenden Bewegungen.
- Für den Handstand: Du trainierst verschiedene Aspekte vom Handstand, wie Kraft und Balance. Und Du lernst effiziente Bewegungen und Haltungen.
In der mechanischen Phase geht das Training los. Ich nenne sie auch die Phase der Geduld. Denn wer die Flinte ins Korn wirft, tut es meist hier.
Deshalb ist es wichtig, diese Phase in Progressionslevel zu unterteilen. Im nächsten Abschnitt erfährst Du mehr darüber.
Fertigkeiten lernen #3 – Kreative Phase
In der kreativen Phase sind die Techniken und Methoden in Fleisch und Blut übergegangen. Bewegungen und Koordination laufen unterbewusst ab, Du hast den Kopf frei, während Du Deiner Fertigkeit nachgehst.
Jetzt kannst Du Deiner Kreativität freien Lauf lassen.
Das bedeutet:
- In der Selbstverteidigung: Du schlägst und blockst wieder instinktiv, wie in der ersten, der natürlichen Phase, ohne dass Denken sich einmischt. Nur diesmal machst Du es so, wie Du es trainiert hast. Du machst es richtig.
- Für den Handstand: Du kannst den Handstand frei halten und fängst an, mit dieser Fertigkeit herumzuspielen. Vielleicht trainierst Du einen einarmigen Handstand oder Du denkst Dir etwas Neues aus.
In der kreativen Phase gibt es keine Regeln mehr. Hier kannst Du Deinen eigenen Stil einbringen und Deine Fertigkeit weiter entwickeln.
Die Magie der Progression: So verdoppelst Du Deinen Lernerfolg
Die mechanische Phase stellt für die meisten Menschen die größte Hürde dar. Sie erfordert Geduld und Hartnäckigkeit.
Erinnerst Du Dich an Marks 7 Prinzipien des richtigen Krafttrainings? Das Prinzip der kontinuierlichen Progression gilt grundsätzlich auch für uns.
Idealerweise setzt jede Trainingseinheit auf der vorherigen auf.
Hier ist ein Beispiel für eine Progression aus meinem Handstandkurs. Die Zielfertigkeit ist ein einarmiger Handstand:
- Um einen einarmigen Handstand zu lernen, musst Du zunächst den regulären Handstand mit beiden Armen beherrschen.
- In diesem Fall ist der reguläre Handstand eine Unterfertigkeit, ein dem einarmigen Handstand vorangehendes Progressionslevel.
- Der Handstand besteht ebenfalls aus Progressionen, weiteren Unterfertigkeiten.
Meine Handstand-Anleitung habe ich zum Beispiel in 4 Progressionslevel unterteilt:
- Wand innen
- Wand außen
- L-Stand
- Freier Handstand
Im folgenden Foto siehst Du die Progressionen von links nach rechts dargestellt.
Bitte denk daran:
Das Prinzip der Progression gilt für alle Fertigkeiten – nicht nur für den Handstand.
Übrigens nicht nur im Sport.
In der Schule fängst Du nicht in der achten Klasse an, sondern in der ersten. Ein Handwerker fängt nicht als Chef oder Meister an, sondern als Lehrling. Ein Start-up fängt nicht mit 100 Produkten an, sondern mit einem.
Progressionen bringen Dir gleich mehrere Vorteile:
- Sie machen Deine Fortschritte MESSBAR: Progressionen helfen Dir, das Level Deiner Fertigkeit zu messen. Was beim Judo der Blaugurt ist, kann beim Handstand der L-Stand sein. Dadurch weißt Du exakt, wie weit Du schon bist und woran Du als Nächstes arbeiten solltest.
- Sie geben Dir SICHERHEIT: Progressionen minimieren das Risiko, dass Du zu Schaden kommst. Bei körperlichen Fertigkeiten senken sie das Verletzungsrisiko. Im beruflichen Umfeld das Risiko finanzieller Verluste.
- Sie MOTIVIEREN Dich: Beim Langhantel Bankdrücken motivierst Du Dich mit Zahlen. Bei Fertigkeiten, wie dem Handstand, mit dem Progressionslevel. Wer den Handstand ohne Progressionen trainiert, kennt nur ein (weit entferntes) Ziel, ohne Zwischenziele: den Handstand. Dieses Ziel zu erreichen, dauert logischerweise länger als das erste Progressionslevel, das in greifbarer Nähe liegt.
Die folgende Grafik fasst die drei Phasen einer Fertigkeit nochmals zusammen.
So erlernst Du jede Fertigkeit: 7 Geheimtipps aus der Praxis
Du weißt jetzt, was eine Fertigkeit ist und dass sie 3 Phasen durchläuft. Die mechanische Phase stellt dabei die größte Hürde dar. Die meisten Menschen geben in dieser Phase auf.
Das kann verschiedene Gründe haben. Einige Menschen verletzen sich, weil Progressionslevel überspringen. Andere landen auf einem Plateau, weil die Progressionsschritte zu groß sind. Das Ergebnis ist meist das gleiche: Sie verlieren die Lust.
Die folgenden 7 Tipps helfen Dir, genau das zu vermeiden und kontinuierlich dranzubleiben, bis Du ein echter Könner bist.
1. Einfach machen!
Viele planen den Stillstand durch folgendes unsichtbare Skript:
„Der Trainingsplan muss perfekt sein und perfekt in meinen Alltag passen.“
Das Ergebnis ist meist Paralyse durch Analyse.
Es gibt viele Anleitungen, Methoden und Systeme. Für welche sollst Du Dich entscheiden?
Die Wahrheit ist, dass Du mit fast jeder erfolgreich sein kannst.
Es gibt mehr als einen Weg zum Ziel.
Meine Empfehlung:
- Checke ein paar Artikel und Videos über die Fertigkeit.
- Entscheide Dich für einen Trainingsplan.
- Fang an zu trainieren.
Google und YouTube sind ein guter Einstieg. Gib hierzu das Suchwort ein:
„[Fertigkeit] Progressionen“
Oder suche auf Englisch: „[Skill] progressions“. Wobei [Fertigkeit] (bzw. [Skill]) der Platzhalter für die Fertigkeit ist, die Du erlernen willst.
2. Trainiere nach der Ganz-Halb-Ganz-Methode
Komplexe Fertigkeiten lassen sich meist in mehrere Komponenten unterteilen. Die Komponenten trainierst Du dann separat.
Ein Judowurf besteht zum Beispiel aus den Komponenten Griff, Balance brechen, Einsteig und Wurf.
Das hat Vor- und Nachteile:
- Nachteil: Einzelne Komponenten zu trainieren, soll weniger effektiv sein, als wenn man die komplette Fertigkeit trainiert. Die allgemeine Leistung verschlechtert sich.9
- Vorteil: Dafür ist die Frustration geringer, weil es leichter ist, wenn man die Fertigkeit nicht komplett trainiert. Somit ist die Motivation zum dranbleiben höher.
Am besten bedienst Du Dich daher beider Ansätze und trainierst nach der Ganz-Halb-Ganz-Methode von Malcom Knowles:
Ganz: Du trainierst zunächst die komplette Bewegung.
Danach teilst Du sie in ihre Komponenten auf.
Halb: Dann trainierst Du die einzelnen Komponenten.
Zum Schluss setzt Du die Komponenten wieder zusammen:
Ganz: Jetzt trainierst Du die Bewegung wieder als Ganzes.
Am Beispiel vom Handstand:
- Ganz – Du versuchst den Handstand so gut Du kannst.
- Halb – Dann trainierst Du den Handstand in seinen Komponenten: Wand hochgehen (mehr Schulterkraft und Körpergefühl), Hohlkörperposition (Körperspannung), Ausfallschritt (der Dich in den Handstand bringt) etc.
- Ganz – Zum Schluss trainierst Du den Handstand wieder als Ganzes.
Viele Trainingspläne sind so aufgebaut.
Wenn nicht, dann schau Dir die Bewegungen Deiner Fertigkeit an. Unterteile sie in einzelne Komponenten und trainiere sie – so gut es geht – nach der Ganz-Halb-Ganz-Methode.
3. Verzögere Dein Feedback
Feedback ist wichtig. Es zeigt Dir, ob Du etwas richtig machst oder weiter üben darfst.
Du kannst es sofort oder verzögert erhalten:
- Sofortiges Feedback: Du trainierst vor dem Spiegel oder ein Trainer gibt Dir noch während der Übung Feedback.
- Verzögertes Feedback: Du filmst die Übung mit Deinem Smartphone und schaust Dir das Video erst später an.
Viele Menschen glauben, sofortiges Feedback sei am effektivsten. Im ersten Moment klingt das auch logisch, schließlich kannst Du einen Fehler direkt korrigieren.
Und das stimmt auch: Was Du bemerkst, kannst Du sofort korrigieren. Aber die Sache hat auch einen Haken:
Sofortiges Feedback greift in die Informationsverarbeitung im Gehirn ein und behindert die Aufnahme aller sensorischen und motorischen Muster.
Für das langfristige Abspeichern einer Fertigkeit ist verzögertes Feedback effektiver.10
Das motorische Lernen, das sich normalerweise durch Fehler erst entwickelt, wird durch das sofortige Feedback unterbrochen. Allmählich verlässt Du Dich auf das sofortige Feedback und wirst davon abhängig.
In diesem Fall ist es sinnvoller, wenn Du Dich erst aufnimmst und dadurch verzögertes Feedback erhältst. Ich nutze dafür mein Smartphone und ein kleines Stativ.
4. Erlaube mehr Fehler
Nur wer Fehler macht, lernt. Aber wie viele Fehler darf man machen?
Je enger Du Dein Training kontrollierst, desto weniger Spielraum lässt Du für Fehler.
Vorteil: Du bekommst schneller Feedback und kannst Fehler schneller korrigieren. Das hilft für den kurzfristigen Erfolg.
Hier gilt das Gleiche wie beim verzögerten Feedback (siehe 3.):
Ein großer Spielraum für Fehler ist für das langfristige Abspeichern der Fertigkeit effektiver.11
Fahrradfahren lernen ist ein schönes Beispiel. Eltern können ihren Kindern viel oder wenig Spielraum lassen:
- Wenig Spielraum: Die Eltern montieren Stützräder ans Fahrrad und halten es zusätzlich fest. So gehen sie sicher, dass das Kind garantiert nicht hinfällt.
- Viel Spielraum: Die Eltern setzen ihr Kind auf ein Fahrrad und lassen es ohne Unterstützung losfahren.
In den meisten Fällen wird der ideale Spielraum zwischen den beiden Extremen liegen.
So könnten die Eltern die Stützräder beispielsweise so nach oben biegen, sodass mehr Spielraum da ist, das Kind aber dennoch gerade nicht umkippt.
Du willst einen gesunden Spielraum für Fehler lassen.
Dein Training sollte also SO WENIG Spielraum lassen, dass Du Dich nicht ernsthaft verletzen kannst und gleichzeitig SO VIEL Spielraum lassen, dass Du genug Fehler machen und daraus lernen kannst.
5. Freue Dich über Fortschrittsplateaus
Plateaus können nerven, ich weiß. Du trainierst und trainierst – und kommst einfach nicht weiter.
Anfangs machst Du täglich Fortschritte. Dann wöchentlich. Und irgendwann monatlich.
Meist fühlt sich diese Situation schon nach einem Plateau an.
Aber …
Nur weil Du keinen sichtbaren Fortschritt machst, heißt das nicht, dass Du nicht besser wirst.
Manchmal benötigt der Körper einige Zeit, um Informationen zu verarbeiten.
(Vermeintliche) Plateaus sind Teil des Lernprozesses.
Plateaus sind gut. Also freu Dich, wenn Du auf eines triffst. Dann bist Du nämlich auf dem richtigen Weg und hast bald einen großen Durchbruch.
Und wenn die Fortschritte tatsächlich über mehrere Monate ausbleiben und Deine Geduld langsam zur Neige geht? Dann hast Du vermutlich ein „echtes“ Plateau erwischt.
Das ist nicht schlimm und passiert früher oder später jedem von uns einmal. So durchbrichst Du jedes Fortschrittsplateau in drei Schritten:
Schritt 1: Back to the basics
Geh zurück zu den Grundlagen und prüfe, ob Du sie schon zu 100 % beherrschst. Meistens ist das nicht der Fall. Dann trainierst Du sie.
Einer der häufigsten Fehler ist, dass jemand nur noch im nächsten Progressionslevel trainiert, obwohl er das vorherige noch nicht abgeschlossen hat.
Hier ist ein Beispiel: Wenn ich das Gefühl habe, eine Fertigkeit zu 60 % zu beherrschen, dann trainiere ich das nächste Progressionslevel, soweit es geht. Dann wechsle ich wieder zurück und trainiere die Grundübungen.
Anderes Beispiel: Viele trainieren den freien Handstand, ohne vorher den L-Stand gemeistert zu haben. Der L-Stand öffnet Deine Schultern, was notwendig ist, wenn Du einen geraden Handstand lernen willst. Das wiederum ist wichtig für den einarmigen Handstand.
Das Motto lautet also: Back to the basics und an den Grundübungen feilen.
2. Frag jemanden, der weiter ist, als Du
Meist sieht diese Person Dinge, die Du (noch) nicht sehen kannst. Dadurch sparst Du oft extrem viel Zeit.
Als ich vor Kurzem die Luftrolle trainierte und stecken blieb, fragte ich meinen Kollegen Micah, der diese Fertigkeit schon beherrscht. Er wies auf einen Fehler in meiner Haltung hin und schon war das Problem gelöst.
Und wenn Du niemanden kennst?
Dann schreib der Person, welche die Übungs-Anleitung erstellt hat, nach der Du trainierst. Nimm am besten ein Video von Dir und Deiner Übung auf. Und schick es gleich mit.
3. Probiere es auf eigene Faust
Wenn Du Dein Plateau ohne Hilfe durchbrechen willst, dann hast Du drei Optionen:
- Du trainierst mehr.
- Du trainierst weniger.
- Du trainierst anders.
Ich selbst gehe in genau dieser Reihenfolge vor. Und empfehle es auch meinen Schülern.
Als Erstes trainiere ich mehr (130–200 %). Hör dabei auf Dein Körpergefühl, damit Du es nicht übertreibst und Dich nicht überlastest!
Falls nach 6–8 Wochen nichts passiert, mache ich eine Pause. 3–14 Tage trainiere ich überhaupt nicht. Dann reduziere ich mein Training (30–50 %) …
… und wenn sich nach zwei Monaten nichts ändert, dann ändere ich meine Übungen und meinen Trainingsplan.
6. Weniger Wiederholungen, mehr Zufall
Du kannst Deine Trainingseinheiten unterschiedlich gestalten.
Geregeltes Training (Englisch: blocked practice) ist am bekanntesten. Hier wiederholst Du die gleiche Übung immer und immer wieder für einen bestimmten Zeitraum.
Diese Art von Training scheint der beste Weg zu sein, um eine Fertigkeit zu meistern. Genau wie beim sofortigen Feedback (siehe 3.) und wenig Spielraum (siehe 4.) hast Du schnelle Erfolgserlebnisse.
Aber das ist nur eine temporäre Leistungssteigerung im Vergleich zum zufälligen Training (Englisch: random practice). Auf lange Sicht ist diese Art von Training effektiver als geregeltes Training.
Und das ist zufälliges Training:
Anstelle einer stets gleichen Übung absolvierst Du viele verschiedene Übungen in Deiner Trainingseinheit.
Wir nutzen diese Art von Training zum Beispiel in unserem Online-Videokurs, Handstand System. Anstatt einfach den Handstand immer wieder zu trainieren, lernst Du verschiedene Handbalance-Übungen in verschiedenen Variationen.
Das fühlt sich manchmal so an, als würdest Du keine Fortschritte machen.
Aber das Gegenteil ist der Fall. Dadurch, dass sich die Fertigkeiten ähneln, wirst Du irgendwann merken, dass Du automatisch besser geworden bist.
Geregeltes Training hat natürlich seine Vorteile und sollte nicht außer Acht gelassen werden. Wenn wir über das Erlernen neuer Fertigkeiten reden, regt zufälliges Training Dein Nervensystem konstant neu an und ist dadurch langfristig effektiver.12
7. Nimm Dir 20 Stunden
Wie viele Stunden musst Du investieren, um eine Fertigkeit zu meistern?
Vermutlich kannst Du Dir denken, dass es keine feste Anzahl Stunden gibt, die für alle Fertigkeiten und alle Situationen gilt.
Aber eine grobe Schätzung ist durchaus möglich:
- Malcom Gladwell stellt in seinem Bestseller „Outliers“ die These auf, ca. 10.000 Stunden seien notwendig, um in einer Fertigkeit Weltklasse zu werden.1314
- Josh Kaufmann sagt, dass wir innerhalb von 20 Stunden jede Fertigkeit lernen können.15
Meiner Erfahrung nach scheinen beide Angaben realistisch zu sein. Malcom bezieht sich auf das Expertenlevel. Profisportler, Großmeister im Schach und Weltklasse Musiker investieren ca. 10.000 Trainingsstunden, um zu den Besten zu gehören.
Josh bezieht sich darauf, eine Fertigkeit zu lernen. Dafür, sagt er, benötige man ca. 20 Stunden. Im ersten Moment klingt das zu gut an, um wahr zu sein, oder?
Aber denk mal nach:
Welche Fertigkeit hast Du wirklich 20 Stunden trainiert – und dann nicht gekonnt?
20 Stunden würden heißen: 45 Minuten konzentriertes Training pro Tag für circa einen Monat.
Wenn Du also eine Fertigkeit lernen willst, dann verpflichte Dich zu mindestens 20 Stunden Training.
Fazit
Ich dachte früher immer, dass erfolgreiche Sportler etwas haben, was ich nicht habe. Oder etwas wissen, was ich nicht weiß.
Und wenn ich lang genug forschte, würde ich vielleicht eines Tages herausbekommen, was es ist.
Tausende Artikel, Bücher, Trainingsstunden und Interviews später habe ich dann etwas komplett anderes realisiert.
Die besten Anleitungen, Tipps und Trainingspläne der Welt bringen nichts, wenn Du nicht regelmäßig und konstant trainierst. #Dranbleiben – So simpel ist das!
Wenn Du nur 10 Minuten pro Tag investierst, dann wirst Du langfristig viel mehr Erfolg haben, als wenn Du Dir in unregelmäßigen Abständen 1–2 Stunden Zeit fürs Training nimmst.
Der wichtigste Tipp ist also: Mache regelmäßiges Training zu Deiner Priorität.
Über den Gastautor
Marco Meyer ist Personal Trainer und Blogger. Er lebt zurzeit in Los Angeles und besitzt über 20 Jahre Kampfsporterfahrung (Ringen, Judo, Brazilian Jiu Jitsu).
Mit seinem Blog KraftImpuls unterstützt er Menschen dabei, sportliche Fertigkeiten zu erlernen und sie weiterzuentwickeln.
Wenn Du einen Handstand lernen willst, dann hole Dir seine Anleitung: „Handstand Anleitung von KraftImpuls: 4 Progressionslevel zum Freien Handstand“ — kostenlos.
Frage: Welche sportliche Fertigkeit würdest Du gerne lernen und was ist momentan Dein größtes Hindernis? Schreib einen Kommentar.
Bildquellen
Bildquellen im Artikel „Fertigkeiten und Fähigkeiten“: © Shutterstock.com/Sergey Nivens, Rocksweeper, fizkes, Olivier Le Moal, Kutlayev Dmitry, Tairy Greene.
- Wiktionary: Fähigkeit. Wikiwörterbuch, https://de.wiktionary.org/wiki/F%C3%A4higkeit, Abruf am 12.02.2017 [↩]
- Deutsches Universalwörterbuch: Fähigkeit. Duden, 6. Auflage Mannheim, 2006 [↩]
- Wiktionary: Fertigkeit. Wikiwörterbuch, https://de.wiktionary.org/wiki/Fertigkeit, Abruf am 12.02.2017 [↩]
- Deutsches Universalwörterbuch: Fertigkeit. Duden, 6. Auflage Mannheim, 2006 [↩]
- Howe MJ, Davidson JW, Sloboda JA: Innate talents: reality or myth?, 1998 [↩]
- Bruce Lee by John Little: The Warrior Within: The Philosophies of Bruce Lee, 1996 [↩]
- Fitts & Posner by Gabriele Wulf: Attention and Motor Skill Learning, 1967 [↩]
- Carl Paolis: Free+Style: Maximize Sport and Life Performance with Four Basic Movements, 2005 [↩]
- Malcolm S. Knowles: The Adult Learner: The definitive classic in adult education and human resource development, 2015 [↩]
- Carolee J Winstein: Knowledge of Results and Motor Learning—Implications for Physical Therapy, 1991 [↩]
- Jerzy Sadowski, Andrzej Mastalerz, Tomasz Niznikowski: Benefits of Bandwidth Feedback in Learning a Complex Gymnastic Skill, 2013 [↩]
- J. Fooladian, M. Namazizadeh, M. Sheikh, F. Bagherzadeh: The Effect of Practice Arrangement (Contextual Interference) on Acquisition, Retention and Transfer of Generalized Motor Program and Parameter, 2009 [↩]
- Malcom Gladwell: Outliers: The Story of Success, 2008 [↩]
- K. Anders Ericsson, Michael J. Prietula, Edward T. Cokely: The Making of an Expert, 2007 [↩]
- Josh Kaufmann: The First 20 Hours: How to Learn Anything . . . Fast!, 2014 [↩]