Was ist Testosteron: Ein überschätzter Muskelaufbau-Faktor?

Testosteron ist ein Hormon, das männlich machende (androgene) und muskelaufbauende (anabole) Wirkung hat. Testosteron ist somit ein wesentlicher Muskelaufbau-Faktor. Solange Dein Testosteronspiegel im Normalbereich liegt, macht das Testosteronlevel für Muskelaufbau aber keinen Unterschied. Auch für den weiblichen Körper spielt Testosteron eine sehr wichtige Rolle.

„Was ist Testosteron?“

Frag‘ das mal die nächste Person, der Du begegnest.

Vielleicht hörst Du etwas in dieser Art:

• „Je mehr Testosteron, desto mehr Muskelaufbau.“
• „Mann braucht Testosteron. Frau braucht Östrogen.“
• „Testosteron macht schlank und definiert.“

Überraschung: Nur eine Aussage ist korrekt. Der Rest ist Humbug.

In diesem Artikel lernst Du vier wissenschaftliche Fakten über Testosteron kennen, von denen nur wenige Menschen wissen:

1. Ein für allemal geklärt: Was ist Testosteron?
2. Ein höherer Testosteronspiegel beschleunigt den Muskelaufbau meist nicht.
3. Fettabbau und wie Testosteron sich darauf auswirkt.
4. Testosteron ist nicht nur Männer-, sondern auch Frauensache.

Wenn Du 3-5 Min. Lesezeit in diesen Artikel investierst, weißt Du mehr über das Sexualhormon als 99% Deiner Mitmenschen.

Was ist Testosteron?

Testosteron ist ein Hormon, ein biochemischer Botenstoff Deines Körpers.

Männer produzieren es im Hoden, Frauen in den Eierstöcken. Beide Geschlechter stellen auch einen kleinen Anteil in der Nebenniere her.

Einige Menschen halten Testosteron für Schizophren – es hat zwei unterschiedliche Eigenschaften:

1. Es macht den Mann zum Mann (Androgene Eigenschaften): Testosteron signalisiert dem männlichen Körper: „Bilde die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale“. Also Penis und Hoden, aber auch Haarwuchs und eine tiefe Stimme.
2. Es sorgt für starke Muskeln und Knochen (Anabole Eigenschaften): Testosteron ist eines der drei wichtigsten Muskelaufbau-Hormone und übernimmt auch in der Bildung starker Knochen eine wesentliche Aufgabe.

Normalerweise regelt Dein Gehirn, wie viel Testosteron produziert und freigesetzt wird.

Der größte Teil des Testosterons zirkuliert im Blutkreislauf. Damit es schnell an Ort und Stelle ist, braucht es natürlich einen fahrbaren Untersatz. Diese Aufgabe übernimmt ein spezielles Protein.

Das „Auto“ für Testosteron wird Sexualhormon-bindendes Globulin (SHGB) genannt. Testosteron, das an SHGB gebunden ist, wird auch gebundenes Testosteron genannt.

Gebundenes Testosteron spielt allerdings keine aktive Rolle in Deinem Körper. Nur ungebunden, als freies Testosteron, kann es in Zellen eindringen und dort seine Wirkung entfalten.

Wie beeinflusst Dein Testosteronspiegel den Muskelaufbau?

Testosteron ist einer der hormonellen Hauptakteure beim Muskelaufbau.

Studien an jungen, gesunden Männern zeigen, dass anabole Steroide, die den Testosteronspiegel drastisch anheben, Muskeln auch ohne Training wachsen lassen.1

Bedeutet das, dass ein höherer Testosteronspiegel automatisch zu mehr Muskeln führt?

Achtung, jetzt wird es interessant…

Wir wissen, dass Du mehr Muskeln aufbaust, wenn Du Dein Testosteron dramatisch erhöhst.

Wer einen bestimmten Steroidcocktail nimmt UND trainiert, kann mehr Muskeln aufbauen, als von Mutter Natur vorgesehen.

Das Ergebnis dieser Medikamente kannst Du unter anderem in Hardcore-Bodybuilding Magazinen bestaunen. Das ist soweit nichts Neues.

Aber

1. geht es hier nicht um Hardcore Bodybuilding,
2. riskierst Du damit Deine Gesundheit (Body-Destroying statt Bodybuilding) und
3. Dranbleiber nehmen keine Steroide.

Anstelle unnatürlich hoher Testosteronspiegel interessiert uns daher, wie sich Schwankungen des natürlichen Testosterons auf den Muskelaufbau auswirken.

Und genau das wissen die Wenigsten:

So lange Dein Testosteronspiegel im Normalbereich liegt, beeinflusst eine Schwankung den Muskelaufbau nicht.

Es mag sein, dass Du Dich besser fühlst und mehr Lust auf Sex hast, wenn Du Deinen Testosteronspiegel vom mittleren zum oberen Normalbereich anhebst. Aber es hat keine Auswirkung darauf, wie gut Du Muskeln aufbaust.

Ich weiß, das widerspricht der gängigen Meinung. Aber die Wissenschaft spricht eine andere Sprache.

Zwei interessante Studien dazu:

1. Studie: Natürlicher Testosteronspiegel und Muskelaufbau: Eine mit jungen Männern durchgeführte 20-Wochen-Studie untersuchte, ob junge Männer mit einem Testosteronwert im hohen Normalbereich schneller Muskeln aufbauen als Männer mit einem Testosteronspiegel im unteren Normalbereich. Ergebnis: Zwar bauten die Teilnehmer mit hohem Testosteronspiegel etwas mehr Muskeln auf, aber der Unterschied war verschwindend gering.2
2. Studie: Hormon-Ausschüttung nach Training und Muskelaufbau: In einer US-Studie der McMaster Universität befolgten die Probanden für 12 Wochen ein klassisches Muskelaufbau-Programm: Sie trainierten 5x pro Woche und befolgten die Grundsätze der Muskelaufbau-Ernährung. Die Forscher wollten folgendes wissen: Bauen diejenigen Teilnehmer, die nach dem Training mehr anabole Hormone ausschütteten, schneller Muskeln auf, als Probanden, die weniger Hormone ausschütten? Ergebnis: Sie konnten keinen Zusammenhang zwischen Wachstumshormon-Ausschüttung und Muskelwachstum beobachten, so lange die Werte im Normbereich blieben.3

Kürzlich fragte ein Leser, ob Testosteron-Booster den Muskelaufbau beschleunigen. Es gibt Nahrungsergänzungsmittel die helfen können – aber Testosteron-Booster gehören nicht dazu.

Die Inhaltsstoffe der meisten „Testo-Booster“ sind nach wissenschaftlichen Maßstäben wirkungslos. Die wenigen, die nachgewiesen wirken, können Dein Testosteron allenfalls auf ein Niveau anheben, das für Deinen Körper noch natürlich ist.

Wenn Du keinen Testosteronmangel hast und Muskeln aufbauen willst, kannst Du Dir das Geld für diese Art von Nahrungsergänzungsmitteln sparen.

Wenn Dein Testosteronspiegel im natürlichen Bereich liegt, hilft ein „Testosteron-Booster“ Dir nicht beim Muskelaufbau.

Die einzige Ausnahme wären Menschen mit einem nachgewiesenen Testosteronmangel. In diesem Fall könnte ein hochwertiges Präparat helfen, den Testosteronspiegel zu normalisieren.

Dann gibt es wenig Gründe, den Testosteronspiegel auf natürlichem Weg zu erhöhen?

Nicht ganz. Zumindest dann nicht, wenn Du Körperfett abbauen willst …

Wie beeinflusst Dein Testosteronspiegel den Fettabbau?

Anders als beim Muskelaufbau beeinflussen Testosteron-Schwankungen im Normalbereich den Fettabbau sehr wohl:

Je mehr Testosteron, desto weniger Körperfett.

Die Wissenschaftler in der oben genannten ersten Studie beobachteten eine umgekehrte Abhängigkeit zwischen Testosteronspiegel und Körperfettanteil der Probanden:

• Je höher der Testosteronspiegel der Studienteilnehmer, desto niedriger ihr Körperfettanteil.
• Je niedriger der Testosteronspiegel der Studienteilnehmer, desto höher der Körperfettanteil.

Die Forscher pickten sich Probanden mit einem mittleren Hormonspiegel heraus und gaben ihnen dann Medikamente, die den Testosteronspiegel in den niedrigen Normalbereich abtauchen ließen.

Mit dramatischem Effekt: Die Körperfettmasse stieg um durchschnittlich 36%.

Auch, wenn die exakten Zusammenhänge noch nicht bekannt sind, deuten die Studien darauf hin, dass Testosteron die Fetteinlagerung direkt beeinflusst und ein niedriger Testosteronspiegel Fettleibigkeit begünstigt.

Wenn Du Deinen Testosteronspiegel auf natürlichem Wege erhöhst, hilft es Dir, schlank zu werden und zu bleiben.

Warum auch Frauen Testosteron brauchen

Männer stellen Testosteron her. Frauen stellen Östrogen her. Richtig?

Nope. Es wäre schön, wenn Du das komplexe System „Körper“ in solch schlichte Schwarz-Weiß-Muster einpassen könntest.

Tatsächlich ist es ein gängiges Vorurteil, Testosteron sei was für muskulöse Männer und – Gott bewahre – nichts für Frauen. Zumindest nichts für solche, die sich ihre Weiblichkeit bewahren wollen.

Die Wahrheit ist: Testosteron ist LEBENSWICHTIG für den weiblichen Körper.

Testosteron spielt auch für Frau eine große Rolle und ist für einige extrem wichtige Stoffwechselprozesse bei Frauen zuständig:

• Ohne Testosteron kein Sexdrive: Wie beim Mann beeinflusst Testosteron auch bei Frau den Sexdrive. Die Pille hat möglicherweise negative Auswirkungen auf den Sexualtrieb der Frau: Eine im Journal of Sexual Medicine veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Pille den Spiegel des sexualhormon-bindenden Proteins (SHGB, siehe „Ding Nr. 1“) ansteigen lässt. Damit wäre mehr Testosteron gebunden und der Spiegel des freien Testosterons sinkt.4 Weniger freies Testosteron bedeutet weniger sexuelles Verlangen – egal, ob Mann oder Frau.
• Ohne Testosteron kein Östrogen: Nur Wenige wissen, dass Östrogen aus Testosteron hergestellt wird. Und Östrogen ist nicht nur für den weiblichen Stoffwechsel wichtig, sondern auch für den männlichen.
• Ohne Testosteron kein Muskelaufbau: Auch Frauen können nur dann stärker werden, wenn sie genügend freies Testosteron im Blut haben.
• Ohne Testosteron keine festen Knochen: Verhütungspillen können einen weiteren unerwünschten Nebeneffekt haben und die Knochendichte bei Frauen senken.5

Es ist richtig, dass Frauen DEUTLICH weniger Testosteron herstellen als Männer – die Menge beträgt etwa 1/10. Aber der weibliche Körper ist dafür sehr viel empfindlicher für das Sexualhormon.

Frauen benötigen weniger Testosteron als Männer, um gesund und fit zu leben.

Testosteron ist für Frauen aber ebenso lebenswichtig wie für Männer. Es erfüllt die gleichen Rollen im weiblichen Stoffwechsel wie im männlichen.

Fazit

Was ist Testosteron? Der Botenstoff macht nicht nur Männer männlich, auch Frauen brauchen und produzieren das Sexualhormon.

So lange Dein Testosteronspiegel jedoch im Normalbereich liegt, beeinflusst eine Schwankung den Muskelaufbau nicht. “Testosteron-Booster” sind daher kein wirksames Mittel, um den Muskelaufbau zu beschleunigen.

Anders beim Fettabbau: Ein niedriger Testosteronspiegel begünstigt die Fetteinlagerung vermutlich auch dann, wenn der Wert sich noch im unteren Normalbereich befindet. Je höher Dein Testosteronwert ist, umso niedriger ist Dein Körperfettanteil.

Frauen benötigen zwar weniger Testosteron als Männer, um gesund und fit zu leben. Dennoch erfüllt es die gleichen lebenswichtigen Rollen im weiblichen Stoffwechsel wie im männlichen.

Dies war Teil 2 der Artikelserie über Testosteron. In Teil 5 liest Du meine persönliche Testosteron-Geschichte und erfährst, warum ich keine Marathons mehr laufe. In den kommenden Artikeln erfährst Du, wie Du einen Testosteronmangel eindeutig erkennst und was Du tun kannst, um Deinen Testosteronspiegel auf natürliche Weise zu erhöhen.

Was nimmst Du aus diesem Artikel für Dich mit? Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Schreib einen Kommentar.

1. Bhasin et al.: Testosterone dose-response relationships in healthy young men. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2001 Dec;281(6):E1172-81. [↩]
2. Storer et al.: Testosterone dose-dependently increases maximal voluntary strength and leg power, but does not affect fatigability or specific tension. J Clin Endocrinol Metab. 2003 Apr;88(4):1478-85. [↩]
3. West, Phillips: Associations of exercise-induced hormone profiles and gains in strength and hypertrophy in a large cohort after weight training. Eur J Appl Physiol. 2012 Jul;112(7):2693-702. doi: 10.1007/s00421-011-2246-z. Epub 2011 Nov 22 [↩]
4. Panzer et al.: WOMEN’s SEXUAL DYSFUNCTION: Impact of Oral Contraceptives on Sex Hormone-Binding Globulin and Androgen Levels: A Retrospective Study in Women with Sexual Dysfunction. The Journal of Sexual Medicine Volume 3, Issue 1, pages 104–113, January 2006 [↩]
5. John Gever: Low-Dose Birth Control Pills May Weaken Bones. ABC News MedPage Today, 14. Sept. 2009 [↩]