„Kohlenhydratarme Ernährung kann Leben verkürzen“, titelt kürzlich ein bekanntes Magazin für Ärzte.1
Seit einigen Wochen überschlagen sich die Berichte und Kommentare in den Medien.
Besonders reißerisch ist diese Headline:2
„Tödliche Auswirkungen: Brechen Sie Ihre Low-Carb Diät sofort ab!“
Kein Wunder, dass viele Menschen verunsichert sind.
Im Mittelpunkt steht eine aktuelle im renommierten Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichte Studie.3
Wer die Medienberichte verfolgt, ist zu recht verunsichert:
Ist eine kohlenhydratarme Ernährung auf einmal doch ungesund?
In meinen Blogartikeln nehme ich selten Bezug auf brandaktuelle Medienthemen. Einfach, weil sie oft in ein paar Wochen wieder Schnee von gestern sind.
Ich glaube, dass Grundlagen-Artikel für die meisten von uns viel nützlicher sind, als aktuelle Hypes.
Und genau das macht diese Diskussion so faszinierend.
Die Lancet-Studie ist das perfekte Beispiel für ein Phänomen, das ich immer häufiger beobachte:
Wissenschaftliche Studien werden in den Medien oft falsch interpretiert.
Leider fehlt das nötige wissenschaftliche Know-How in vielen Redaktionen. So entstehen (nicht nur) Ernährungsirrtümer.
Aber darin liegt auch eine Chance von unschätzbarem Wert für jeden von uns:
Du kannst lernen, methodische Schwächen in Studien zu erkennen.
Dann bleibst Du gelassen, wo andere in hysterischen Aktionismus verfallen.
Die aktuelle Lancet-Studie ist ein wunderbares Fallbeispiel für den Umgang mit der wissenschaftlichen Sensationspresse.
Dies ist ein Gastbeitrag des Ernährungswissenschaftlers Prof. Dr. Nicolai Worm. Er erforscht die Auswirkungen verschiedener Ernährungsformen auf die menschliche Gesundheit seit Jahrzehnten.
Nicolai, Du hast das Wort.
Ist eine kohlenhydratarme Ernährung wirklich „lebensgefährlich“?
Der Tenor in den Medien ist eindeutig: „Eine Low-Carb Diät ist gefährlich und verkürzt das Leben.“
Was in diesen Berichten nicht erwähnt wurde:
Die Forscher haben gar keine Diät „getestet“.
Sie haben erst recht nicht die Folgen einer definierten „Low-Carb Diät“ untersucht, wie sie heute von Millionen Menschen auf der Welt erfolgreich zur Therapie von Adipositas, Prädiabetes oder manifestem Diabetes eingesetzt wird.
Bei der Studie3 handelt es sich lediglich um eine Langzeitbeobachtung von unbeeinflusst lebenden Menschen.
Dabei stellten die Forscher statistische Beziehungen her, so genannte Korrelationen:
Wie lange leben Menschen und wie ernähren sie sich?
Bekanntlich sind solche wechselseitigen Beziehungen in epidemiologischen Studien anfällig für Fehler durch unerkannte Einflüsse.
Als Belege für ursächliche Zusammenhänge (sog. „Kausalität“) dürfen solche Studien niemals gewertet werden.
Lass uns zuerst einen Blick auf die Durchführung und die Ergebnisse der Studie werfen, bevor ich sie kommentiere.
Was wurde untersucht?
In der ARIC-Studie (Atherosclerosis Risk in Communities) mussten die 15.428 Teilnehmer im Alter von 45-64 Jahren in den Jahren 1987 und 1989 jeweils einen Ernährungsfragebogen ausfüllen.
25 Jahre später waren 6283 Todesfälle eingetreten.
Diese setzten die Forscher mit den ursprünglich abgegebenen Ernährungsdaten in Beziehung.
Dazu teilte man die Teilnehmer rückblickend nach ihrem Kohlenhydrat-Konsum in 5 gleich große Gruppen ein:
- Das unterste Probanden-Fünftel verzehrte 37 % der Kalorien in Form von Kohlenhydraten.
- Das oberste Fünftel kam auf einen Kohlenhydrat-Anteil von 61 %.
Zusätzlich untersuchte man weitere Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit, wie beispielsweise:
- Alter,
- Geschlecht,
- ethnische Zugehörigkeit,
- Rauchen,
- Ausbildung,
- Einkommen,
- körperliche Aktivität,
- Gesamt-Energiezufuhr oder
- Diabetes-Status.
All das berücksichtigen die Wissenschaftler in ihrer Statistik.
Was sind die Ergebnisse der Studie?
Als erstes fällt folgendes auf:
Probanden, die 50 bis 55 % ihrer Kalorien in Form von Kohlenhydraten verzehrten, lebten am längsten.
Dieses Bild ergibt sich nach vielen statistischen Maßnahmen.
Die Wissenschaftler visualisieren ihre Beobachtungen, indem sie das Sterblichkeitsrisiko (Hazard Ratio) über der prozentualen Kohlenhydratzufuhr (Energy von Carbohydrate) auftragen.
Das Ergebnis ist die folgende U-förmige Kurve.
Was ebenfalls auffällt:
Eine niedrigere Kohlenhydratzufuhr (KH) – also unter 50-55 % – ging genauso mit einer fast linear ansteigenden Sterblichkeit einher, wie eine höhere.
Hier sind die Werte der anderen Gruppen im Vergleich:
- Bei unter 30 % KH stieg die relative Wahrscheinlichkeit zu sterben um 37 %,
- bei 30-40 % KH um 21 %,
- bei 40-50 % KH um 11 %,
- bei 55-65 % KH um 1 % und
- bei über 65 % KH um 16 %.
Weitere Analysen ergaben folgendes:
Eine kohlenhydratreduzierte Ernährung ist mit einer geminderten Sterblichkeit assoziiert.
Und zwar, wenn pflanzliche Proteine und Fette anstelle der Kohlenhydrate verzehrt wurden.
In dieser Teilnehmergruppe leben die Low-Carber also sogar länger.
Nur Probanden, die vor allem tierische Proteine und Fette anstelle von Kohlenhydraten aßen, starben früher.
Dabei ist ein Punkt beachtenswert:
Es werden keine Aussagen zur QUALITÄT der verzehrten Lebensmittel gemacht.
Die Forscher haben also nicht ermittelt, ob die Studienteilnehmer …
- un- oder wenig verarbeitete Lebensmittel verzehrten,
- ob sie vor allem hochverarbeitete Fertigwaren aßen,
- wie die Nahrung zubereitet wurde,
- etc.
In einem dritten Teil der Arbeit wurden die Daten der ARIC-Studie in eine Meta-Analyse mit sieben weiteren Studien integriert.
Dabei handelt es sich um ähnlich gestaltete Langzeitbeobachtungsstudien mit der gleichen Fragestellung und den gleichen Schwächen, die epidemiologische Beobachtungen eben mit sich bringen.
Insgesamt gingen damit 432.179 Teilnehmer und 40.181 Todesfälle in die Berechnung ein.
In der grafischen Darstellung ergibt sich auch hier eine U-förmige Risikobeziehung.
Mit ähnlichem Ergebnis: Im Vergleich zu moderatem Konsum war sowohl der verminderte als auch der erhöhte Kohlenhydratkonsum mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert.
5 typische Fehler, die in der Berichterstattung immer wieder vorkommen
Die spannenden Fragen, die sich bei jedem Medienbericht über wissenschaftliche Studien stellen, sind:
Gibt es Einflüsse auf die Studienergebnisse, die nicht erkannt oder nicht betrachtet wurden?
Haben die Berichterstatter die Studie wirklich richtig gelesen?
In dieser Studie fällt zunächst einmal der Zeitraum auf: Die Untersuchungen wurden Ende der 1980er und Anfang/Mitte der 1990er Jahre durchgeführt.
Die meisten von uns werden sich daran erinnern, dass die meisten Menschen damals ein anderes Verständnis von „gesunder“ Ernährung hatten als heute.
Mir fallen dabei vor allem fünf Themen auf, die ich kurz diskutieren möchte.
1. Eine kohlenhydratarme Ernährung war in den 1980ern völlig „out“
Als der Cholesterinspiegel der Bevölkerung immer mehr ansteigt, erklären die US-Gesundheitsbehörden ihm Anfang 1984 den Krieg.
Die Behörden deklarieren gesättigte Fettsäuren und das Cholesterin in der Nahrung zum Staatsfeind Nr. 1.
Am 26. März 1984 berichtet das TIME Magazin mit seiner viel beachteten Titelgeschichte über die Pläne der US-Gesundheitsbehörden.
Damit stufen sie tierische Produkte wie Eier, Speck, vollfette Milch und Milchprodukte sowie rotes Fleisch offiziell als Gesundheitsrisiko ein.
Die Zeit der fettarmen und cholesterinfreien Nahrungsmittel beginnt.
Die Industrie beginnt, um den neuen Markt der Low-Fat Produkte zu kämpfen. Sie schaltet aufwendige Werbekampagnen, um die „gesunden Alternativen“ möglichst vielen Menschen schmackhaft zu machen.
Damit ist die erste Low-Carb Welle der 1970er Jahre abgewürgt.
Ausgelöst hatte sie der New Yorker Kardiologe Dr. Robert Atkins durch sein 1972 erschienenes Buch „Diät-Revolution“, das ein weltweiter Bestseller wurde.
Die ursprüngliche Atkins-Diät, nach der man auf Kohlenhydrate nahezu komplett verzichten solle und stattdessen nur noch Proteine und Fette in jeder Menge zu sich nehmen solle, war ab Mitte der 80er Jahre komplett „out“.
Und nicht nur das:
Eine kohlenhydratarme Ernährung wurde sogar nachhaltig in allen Medien als „gefährlich“ gebrandmarkt und Dr. Atkins als fahrlässig diskreditiert.
Ihm sollte für seine Empfehlungen sogar die Lizenz als Arzt entzogen werden.
Die eingangs erwähnte ARIC-Studie rekrutierte ihre Teilnehmer zwischen 1987 und 1989 in 4 US-Gemeinden4. In dieser Zeit befragten die Forscher jeden Probanden einmal zu seinen Ernährungsgewohnheiten. Dabei standen 66 Nahrungsmittelangaben zur Auswahl. Zwischen 1993–95 wurden die Teilnehmer dann ein weiteres Mal befragt.
Aus den historischen Zusammenhängen ergeben sich wichtige Fragen, aber die Autoren der Studie haben sie nicht thematisiert:
- Was waren das für Menschen, die sich in jener Zeit gegen den Trend ernährten – mit viel tierischem Fett und Protein und entsprechend weniger Kohlenhydraten?
- Was wollten Sie damit bezwecken – bzw. wollten sie damit überhaupt etwas bezwecken? Waren diese Studienteilnehmer mit niedrigerer Kohlenhydratzufuhr wirklich auf „Diät“ um abzunehmen?
Das wissen wir nicht. Die Studie macht dazu keine Angaben.
- Haben sie sich bewusst an die „Atkins-Diät“ halten wollen (oder an eine andere, definierte Low-Carb Diät)?
Wir wissen auch das nicht.
Die Studie macht auch dazu keine Angabe – obwohl eigentlich wesentliche Informationen dazu aus der ARIC-Studie vorlagen.
In der Studie fehlt eine entscheidende Information:
Haben die Probanden eine Low-Carb Diät eingehalten?
Tatsächlich veröffentlichte eine Forschergruppe um Steven Juhaeri im Jahr 2001 eine interessante Analyse der ARIC-Teilnehmer.5 Dabei untersuchten sie das Ernährungsverhalten und die Diät-Einhaltung der Probanden.
Zum Erhebungszeitpunkt (1987 – 1989) gaben nur 425 Teilnehmer (= 4,0 %) an, eine Reduktionsdiät zur Gewichtsreduktion einzuhalten.
Nach Geschlecht und Hautfarbe unterteilt, waren das lediglich:
- 6,5 % der weißen Frauen,
- 2,3 % der weißen Männer,
- 3,5 % der schwarzen Frauen und
- 0,9 % der schwarzen Männer.
Allerdings haben 240 Teilnehmer (56, 5%) nach eigenen Angaben die selbst gewählte Diät nicht einmal ein Jahr lang durchgehalten.
Wir können nicht davon ausgehen, dass sich alle Teilnehmer 25 Jahre lang strikt an ein und denselben Plan gehalten haben.
Da stelle ich mir eine Frage:
Wie viele Teilnehmer haben wohl 25 Jahre lang eine spezielle Diät eingehalten? Und wie viele haben die Atkins- oder eine andere Low-Carb Diät befolgt?
Wir wissen es nicht.
Es lässt sich bei Juhaeri et al. 2001 nur folgendes nachlesen5:
Wer abnehmen wollte, ernährte sich mehrheitlich fettarm!
Eine bewusst kohlenhydratarme Ernährung war damals einfach „out“.
2. Wurden Bedeutungen verwechselt?
Viele Medien berichten von der Gefährlichkeit einer „Low-Carb Diät“. Wie kommt das?
Im Titel der Studie wird der englische Begriff „diet“ verwendet.
„Diet“ ist ein zweideutiges Wort.
Und darin dürfte der wesentliche Grund liegen:
Im Englischen steht „diet“ meist für die allgemeine Ernährungsweise eines Menschen.
Im Deutschen meinen wir aber meist die andere Bedeutung, wenn wir von „Diät“ reden: eine konkrete Ernährungsform – zum Beispiel zur Therapie oder Gewichtsabnahme.
Die Studienautoren meinen sicherlich die erste Bedeutung.
Ein weiterer Grund dürfte die Inkompetenz der Berichterstatter im Umgang mit solchen Studien sein:
In vielen Fällen interpretieren sie die beobachteten KORRELATIONEN fälschlicherweise KAUSAL.
Vermutlich wissen sie über die geringe Aussagekraft solcher Kohortenstudien einfach nicht Bescheid. Oder sie ignorieren es bewusst.
Korrelation vs. Kausalität – worin liegt der Unterschied?
Wenn Korrelation und Kausalität miteinander verwechselt werden, passieren Fehler. In den Medien (und in der Werbung) findest Du sie regelmäßig – oft leider gut versteckt.
Das folgende Beispiel macht den Unterschied klar:
- KORRELATION: Wenn viele Menschen einen Regenschirm aufspannen, regnet es.
- KAUSALITÄT: Es regnet, WEIL sie den Regenschirm aufspannen. (Was natürlich Blödsinn ist!)
Eine Kohortenstudie ist eine gute Möglichkeit, um Korrelationen festzustellen. Zum Beispiel, dass Menschen bei Regen einen Schirm aufspannen. Aber wenn ein Journalist daraus eine Kausalität ableitet …
„Schockierende Studie zeigt: Handelsübliche Regenschirme beenden Dürreperioden und löschen Waldbrände!“
… dann verdreht er die Tatsachen.
3. Wie gesundheitsbewusst lebt jemand, der sich in den 1980ern „Low-Carb“ ernährt?
Wer waren die angeblichen Low-Carb-Anhänger in der Studie? Wie sah ihr Lebensstil aus?
Dabei fällt zunächst auf, dass die niedrigste Kohlenhydratzufuhr im ersten Fünftel bei 37 % (150 Gramm pro Tag) lag:
Die „Low-Carb Gruppe“ ernährte sich nach keiner der heute propagierten „Low-Carb Diäten“.
Man darf vor dem geschilderten Hintergrund getrost spekulieren, dass die „Low-Carb Probanden“ vor allem solche Menschen gewesen sind, denen die (in den USA massiv verbreiteten) Ratschläge zur cholesterin- und fettarmen Ernährung „völlig Wurst“ waren – im wahrsten Sinne des Wortes.
In der Tat ist für sie ja auch der höchste Konsum von tierischem Fett und Protein in der Studie ausgewiesen – und der geringste für pflanzliches Fett und Protein.
Bedauerlicherweise geben die Autoren zur QUALITÄT der Ernährung in den unterschiedlichen Teilnehmergruppen gar keine Auskünfte.
Anders ausgedrückt:
Die Studie vergleicht besonders Gesundheitsignorante (die damals einfach aßen, was ihnen schmeckte) mit besonders Gesundheitsbewussten.
Die folgenden Indizien stützen diese These:
- Im ersten Fünftel – der „Low-Carb“ Gruppe – befinden sich mehr Raucher (insgesamt 68 % aktive und Ex-Raucher), als in den Fünfteln mit einer höheren Kohlenhydratzufuhr.
- Die Probanden des ersten Fünftels verzehren weniger Ballaststoffe, als die Fünftel mit einem höheren Kohlenhydratkonsum.
- Im ersten Fünftel befinden sich weniger sportlich aktive Menschen und mehr Diabetiker.
- Das „wurstige“ erste Fünftel besteht aus mehr Männern und entsprechend weniger Frauen, als die übrigen Fünftel. Bekannterweise halten Frauen sich eher an Empfehlungen zur „gesunden“ Ernährung als Männer.
Die Autoren geben an, diese Unterschiede in ihren statistischen Adjustierungsmodellen berücksichtigt zu haben. Diese sind allerdings nicht transparent gemacht.
Und wie viele Lebensstil-Faktoren, die Einfluss auf das Ergebnis genommen haben, sind gar nicht erfasst bzw. nicht berücksichtigt worden? Kann man den Adjustierungen im Hintergrund vertrauen?
4. Wie belastbar sind die Erhebungsdaten?
Einer der wichtigsten Kritikpunkte an Studien mit einem Design wie dem der ARIC-Studie:
Es gibt keine Auskunft über die Veränderung der Ernährung in den 25 Jahren der Beobachtungszeit.
Alle Analysen beziehen sich auf die beiden anfänglichen Ernährungserhebungen!
Kann man wirklich davon ausgehen, dass die Teilnehmer über die gesamte Beobachtungszeit bis zu ihrem Tod immer bei der gleichen Ernährungsweise geblieben sind?
Bekanntlich ändern Menschen im Laufe des Lebens aus verschiedensten Gründen ihre Ernährungsgewohnheiten.
Die Autoren der ARIC-Studie nehmen an, dass die Probanden ihre Ernährungsgewohnheiten für 25 Jahre beibehielten.
Des Weiteren sollten wir auf die Auswahl der abgefragten Lebensmittel achten: Es sind im Fragebogen nur 66 Elemente rückblickend zur durchschnittlichen Ernährung des letzten Jahres abgefragt worden. Solche Fragebogen-Angaben zur früheren Ernährung sind bekanntermaßen extrem unzuverlässig.
Ein Blick auf die ausgewiesene, angebliche Energiezufuhr unterstreicht dies: Laut Studie hätten die Teilnehmer im Mittel nur zwischen 1550 und 1650 kcal pro Tag konsumiert. Das ist bei einem mittleren BMI von 27-28 eine stark unterkalorische Ernährung. Und wenn man den Studienansatz ernst nimmt, dann hätten sie das auch 25 Jahre lang durchgehalten!
Die Teilnehmer hätten durch die Ernährungsvorgaben nach 25 Jahren an Unterernährung sterben müssen.
Doch die ältere Publikation der ARIC-Studie beleuchtet das etwas besser: Wie von Juhaeri et al. dokumentiert, nehmen die Teilnehmer der ARIC-Studie (bei angeblich ca. 1600 kcal/Tag) innerhalb der ersten 6 Jahre der Nachbeobachtung durchschnittliche um 0,35 kg pro Jahr zu5!
Wie passen diese Angaben zusammen?
5. Wie plausibel sind die Ergebnisse?
Schließlich stellt sich bei epidemiologischen Studien immer auch die Frage nach der biologischen Plausibilität.
In der Tat widerspricht das Resultat den eindeutigen Ergebnissen von kontrollierten Interventionsstudien und Meta-Analysen.
Viele davon haben eindeutig zahlreiche positive Veränderungen unter Low-Carb in Bezug auf gravierenden Risikofaktoren wie Adipositas, Metabolischem Syndrom, Fettleber und Typ-2 Diabetes nachgewiesen.
Auch die Blutfettwerte verbessern sich nachweislich und signifikant.
Besonders dann, wenn man eine mediterran ausgerichteten kohlenhydratarme Ernährung mit der traditionellen fettarmen Kost vergleicht.
Fazit
Die Schlagzeilen und Berichterstattung zur neuen Analyse der ARIC-Studie hat Verbraucher in aller Welt grundlos in Angst und Schrecken versetzt.
Entgegen dem Tenor in den Medien ist in dieser Studie gar keine „Diät“ getestet worden.
Erst recht keine „Low-Carb Diät“, wie sie heutzutage immer beliebter wird und immer mehr Anerkennung als therapeutische Option findet.
Dabei sind moderne Low-Carb Diäten längst keine Eier & Speck mehr. Heute gibt es sowohl vegetarische als auch vegane Varianten für eine kohlenhydratarme Ernährung.
Tatsächlich wurde in der neuen ARIC-Analyse, ausgehend von fehleranfälligen Ernährungserhebungen Ende der 80er Jahre, nur ein statistischer Bezug zu den Todesfällen nach Ablauf von 25 Jahren aufgestellt.
Dass Menschen 25 Jahre lang ihre Ernährungsweise beibehalten, ist mehr als unwahrscheinlich.
Dass sie die ganze Zeit eine „Diät“ zur Gewichtsreduktion oder Gewichtskontrolle eingehalten haben, noch weniger.
Vor allem da belegt ist, dass die Teilnehmer der ARIC-Studie im Laufe der Zeit – wie die US-amerikanische Bevölkerung im Allgemeinen – zugenommen haben.
Unerwähnt blieb in vielen Medien auch, dass die ARIC-Studie in ihren Statistikmodellen sogar eine verminderte Sterblichkeit für ihre Teilnehmer ausweist, sofern an Stelle von Kohlenhydraten pflanzliches Protein und pflanzliche Fette konsumiert wurden.
Ein wesentlicher Aspekt, den man nur aus einer früheren Publikation der ARIC-Studie entnehmen kann, ist folgender:
Die ARIC-Teilnehmer favorisierten eindeutig fettarme Diäten zum Zwecke einer Gewichtsabnahme oder Gewichtskontrolle.
Sie folgten einfach den gängigen Paradigmen der 1980er und 1990er Jahre. Diese Tatsache steht quasi im diametralen Gegensatz zum Tenor der Medien-Berichterstattung.
Prinzipiell gilt zudem:
Die Ergebnisse einer reinen Korrelationsstudie wie dieser dürfen niemals kausal interpretiert werden!
Denk an das Beispiel: Regen korreliert mit der Verwendung von Regenschirmen.6 Damit ist aber nicht bewiesen, dass Regenschirme Regen verursachen.
Einige Autoren der Studie sind für ihre Nähe zu vegetarischer Ernährung bekannt. Die Art und Weise, wie über diese Studie weltweit praktisch gleichzeitig von allen wichtigen Nachrichtendiensten und Verbrauchermedien in fast einheitlicher Sprache berichtet wurde, lässt eine konzertierte PR-Aktion für „pflanzenbasierte Kost“ im Hintergrund vermuten.
Bedauerlicherweise wird diese schwache Studie und die inkompetente Berichterstattung aber sicherlich unzählige Menschen weltweit davon abhalten, die nachweislich erfolgreichste Ernährungstherapie bei Insulinresistenz, Fettleber, Prädiabetes und Typ-2 Diabetes einzusetzen – eine mediterran ausgerichtete kohlenhydratarme Ernährung.
Über den Gastautor
Prof. Dr. Nicolai Worm ist Ernährungswissenschaftler und Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement Saarbrücken.
Er arbeitet seit über 30 Jahren als Dozent, u.a. im Bereich Sporternährung für den Deutschen Sportbund und hat bereits eine Vielzahl von Gesundheits- und Ernährungsbüchern veröffentlicht, darunter die LOGI und Flexi Carb Methoden.
Seminar: Ernährung für Dranbleiber (mit Prof. Worm und Mark Maslow)
Aktuell sind noch ein paar Restplätze verfügbar. Zum Seminar.
Frage: Welche Erfahrungen hast Du mit „schockierenden Studien“ in den Medien gemacht? Welche Ernährungsirrtümer sind Dir dabei besonders aufgefallen oder hätten Dich verunsichert? Gibt es etwas, das Du zukünftig verändern möchtest? Deine Erfahrung interessiert mich! Schreib einen Kommentar.
Bildquellen
Bildquellen im Artikel „Ist eine kohlenhydratarme Ernährung wirklich lebensgefährlich?“: © Shutterstock.com: pathdoc (bestürzte Frau im Titelbild), Pixelbliss (Low Carb), Poprotskiy Alexey (Ernährungswissenschaftlerin misst Apfel), pathdoc (5 Portraits), TungCheung (Diet Begriff), ltummy (Facts vs. Myths); CC-BY-2.0 JD Hancock (Hungriger Stormtrooper), © The Lancet (Grafiken und Tabellen aus der Studie). Thanks to Doug Neill from thegraphicrecorder.com for the great illustration.er
- Studie: Kohlenhydratarme Ernährung kann Leben verkürzen – außer bei Vegetariern. Deutsches Ärzteblatt, 17. August 2018; https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/97232/Studie-Kohlenhydratarme-Ernaehrung-kann-Leben-verkuerzen-ausser-bei-Vegetariern, Aufruf: 14.09.2018 [↩]
- Erik J. Schulze: Schockierende Studie – Tödliche Auswirkungen: Brechen Sie Ihre Low-Carb-Diät sofort ab! 03.09.2018, http://www.ekitchen.de/kuechengeraete/kuehlschrank/news/low-carb-keto-gesund-567095.html, Aufruf: 14.09.2018 [↩]
- Seidelmann SB et al., Lancet Public Health 2018; Published Online, August 16, 2018, http://dx.doi.org/10.1016/S2468-2667(18)30135-X [↩] [↩]
- Forsyth County, NC; Jackson, MS; Vorstädte von Minneapolis, MN; und Washington County, MD [↩]
- Juhaeri, Steven J, Chambless LE, et al. Weight change among self-reported dieters and non-dieters in white and African American men and women. Eur J Epidemiol. 2001;17:917-23 [↩] [↩] [↩]
- vgl. https://www.linkedin.com/pulse/low-carbs-mortality-john-schoonbee/?published=t [↩]