In Amerika leiden die meisten Menschen an Insulinresistenz und bei uns sieht es vermutlich nicht viel besser aus. Diese Stoffwechselstörung ist tückisch: Sie beschleunigt den Fettaufbau, selbst im Kaloriengleichgewicht.
Eine Insulinresistenz ist der Ausgangspunkt für die meisten Krankheiten unserer Zivilisation.
Die Insulinresistenz (Prä-Diabetes) gilt als Vorstufe zum Diabetes Typ 2.
Typische Symptome der Insulinresistenz sind:
- ein chronisch hoher Blutzucker- und Insulinspiegel,
- eine stetige Gewichtszunahme und erschwerte Gewichtsabnahme,
- Unterzuckerungserscheinungen wie Heißhunger, Schweißausbrüche, Zittern und Schwindel.
Der Haken daran ist, dass die Insulinresistenz nicht wehtut. In vielen Fällen entdeckst Du sie erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Daher solltest Du wissen, was dahinter steckt – und darum geht es heute:
- Was ist eine Insulinresistenz?
- Wie entsteht sie?
- Warum sind immer mehr Menschen insulinresistent?
- Wie stellt man die Stoffwechselstörung fest?
Was die ausgewogene Ernährung angeht, hat mich die Arbeit von Prof. Dr. Nicolai Worm in den vergangenen 15 Jahren sehr geprägt.
Dazu gehört vor allem sein Buch Die LOGI-Diät, das gerade in einer Neuauflage erschienen ist.
Dieser Artikel ist ein überarbeiteter Auszug aus diesem Buch.
Leben wir in einer insulinresistenten Gesellschaft?
Eine Insulinresistenz gehört zu den größten Gesundheitsrisiken unserer Zeit.
Fast alle bedeutenden Zivilisationskrankheiten basieren auf dieser Störung und sie ist größtenteils selbst verschuldet.
Die Welt wird immer runder. Und je fettleibiger ein Mensch ist, desto wahrscheinlicher entwickelt er auch eine Insulinresistenz – sofern er sie nicht bereits hat.
Selbst Normalgewichtige sind keineswegs vor Insulinresistenz gefeit.
Heute haben etwa 15 bis 20 Prozent der Schlanken eine Insulinresistenz manifestiert. Sogar Kinder und Jugendliche sind immer häufiger betroffen.
Ende 2018 ergab eine repräsentative Untersuchung mit amerikanischen Erwachsenen:
Nur 12 Prozent sind FREI von Stoffwechselstörungen, die zum metabolischen Syndrom gehören und durch Insulinresistenz bedingt sind.
Genaue Zahlen für Deutschland haben wir zwar nicht. Aber wenn man sich an den USA orientiert, kann einem Angst und Bange werden.
Um die Auswirkung einer Insulinresistenz zu verstehen, müssen wir verstehen, wozu unser Körper überhaupt Insulin herstellt.
Was ist Insulin?
Insulin ist das mengenmäßig größte Hormon unseres Körpers und hat viele verschiedene Aufgaben zu erfüllen.
Es wird in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse produziert und von dort aus über den Blutweg tagein, tagaus allen Geweben und Zellen zur Verfügung gestellt.
Besonders hoch ist der Insulinbedarf nach dem Essen.
Doch wir benötigen auch eine gewisse Menge an „Basisinsulin“ in den vielen Stunden ohne Nahrung – sei es in der Nacht oder tagsüber.
Die bekannteste Wirkung des Insulins ist die Blutzuckersenkung.
Der Begriff ist im Grunde nicht ganz passend. Die Aufgabe des Insulins ist nämlich nicht, die Zuckerkonzentration im Blut zu senken.
Es ist da, um den Zucker (der aus der Nahrung über den Darm ins Blut gelangt ist) in die verschiedenen Gewebe zu bugsieren. Dort können die Zellen ihn dann als Treibstoff nutzen.
Die hauptsächlichen Zuckerempfänger sind dabei Leber und Muskelzellen.
Irgendwann sind diese „Vorratskammern“ aber randvoll und können keinen Zucker mehr aufnehmen. Der überschüssige Zucker steuert dann auch die Fettzellen an, wo er in Fett umgewandelt wird.
Überschüssiger Zucker wird in Fett umgewandelt.
Insulin hat allerdings noch weitere Aufgaben.
Es sorgt nämlich auch dafür, dass Aminosäuren bzw. Proteine und Fette aus der Nahrung in die Leber-, Muskel- und Fettzellen aufgenommen werden können und dort als Bausubstanz oder als Energiequelle dienen können.
Insulin ist für alle Makronährstoffe der Türöffner in unser Gewebe.
Anders ausgedrückt: Insulin ist das wichtigste Speicherhormon. Deshalb wird es auch „Masthormon“ genannt.
Wegen der Fähigkeit, Muskeln aufzubauen, hat man es früher als Anabolikum im Leistungssport eingesetzt – bis es auf die Dopingliste kam.
Doch wie kann es sein, dass ein so wichtiges Hormon plötzlich seine Macht verliert?
Was ist Insulinresistenz?
Jede Körperzelle besitzt an ihrer Oberfläche spezielle Rezeptoren für Insulin.
Über den Blutkreislauf gelangt das Insulin dorthin und dockt an die Rezeptoren an.
Dies löst ein Signal an den Zellkern aus, der daraufhin die Zelltüren öffnet.
Der Zucker tritt aus dem Blut in das Zellinnere ein.
Das ist jedenfalls der Normalfall. Aber bei einer Insulinresistenz ist dieser Vorgang gestört.
Dann funktionieren die Insulinrezeptoren nicht mehr – oder sie geben das Signal nicht mehr an den Zellkern weiter.
Bei einer Insulinresistenz bleiben die Zelltüren verschlossen.
Das im Blut kreisende Insulin wirkt nicht, das Transportsystem ist gelähmt. Und die Zellen sind resistent gegen Insulin.
Was muss eigentlich passieren, damit es soweit kommt?
Wie entsteht eine Insulinresistenz?
Wie kommt es, dass Zellen taub für die Signalwirkung des Insulinsignals werden können?
Eine ungünstige genetische Ausstattung und zunehmendes Alter können eine Rolle spielen.
Aber die meisten Auslöser sind tatsächlich hausgemacht.
Hier sind die vier häufigsten Ursachen für eine Insulinresistenz.
1. Insulinresistenz durch „modernen“ Lebensstil
Immer mehr Menschen ernähren sich chronisch überkalorisch.
Dadurch wachsen die Fettzellen und die Muskel- und Leberzellen verfetten.
Eine übermäßige Fetteinlagerung lässt Zellen insulinresistent werden.
Besonders problematisch ist das, wenn es chronisch an Muskelaktivität mangelt.
Tatsächlich reicht es bereits aus, wenn jemand sich über einen langen Zeitraum wenig bewegt.
Inaktivität alleine kann Muskelzellen insulinresistent werden lassen – unabhängig davon, ob man schlank oder fettleibig ist.
Daneben gibt es vier weitere übliche Verdächtige für die Entstehung einer Insulinresistenz:
- fehlender gesunder Schlaf,
- zu wenig Sonnenbestrahlung,
- zu viel negativer Stress und
- Rauchen.
In den letzten Jahren hat die Wissenschaft außerdem weitere mögliche Ursachen entdeckt.
Ein bakterielles Ungleichgewicht der Darmflora (Dysbiose), verschiedene Chlorkohlenwasserstoffe aus der Umwelt oder ein Zuviel an Fructose fördern eine Insulinresistenz oder lösen sie aus.
Je mehr dieser Faktoren zusammentreffen, desto wahrscheinlicher nistet sich eine Insulinresistenz ein.
Einige Experten sind zudem überzeugt, dass eine Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto eine Insulinresistenz begünstigen.
Sie empfehlen, dann zuallererst die Schilddrüsenhormone einzustellen. Bisher ist diese These allerdings wissenschaftlich nicht ausreichend belegt.
2. Insulinresistenz durch Vitamin-D-Mangel
Weltweit herrscht in industrialisierten Ländern inzwischen bei einem Großteil der Bevölkerung eine Vitamin-D-Unterversorgung oder sogar ein klinisch relevanter Vitamin-D-Mangel.
Die Ursache ist schnell erklärt:
Wir leben nicht mehr als Jäger und Sammler im Lendenschurz draußen, sondern halten uns überwiegend unter Dächern auf.
Zu Hause, auf dem Weg zur Arbeit und am Arbeitsplatz.
Nur bei intensiver Sonnenstrahlung auf die Haut stellt Dein Körper ausreichend Vitamin D her.
Aber selbst im Sommerhalbjahr reicht die Intensität in unserer Freizeit – also in den Morgen- und Abendstunden nicht aus.
Im Winterhalbjahr kann die Sonne Deine Haut selbst mittags nicht dazu anregen, nennenswert Vitamin D zu bilden.
Jedenfalls nicht in unseren Breitengraden.
Diese Situation ist aus vielerlei Gründen problematisch. Einerseits ist Vitamin D ein Knochen-Vitamin (bzw. Knochen-Hormon). Aber das ist nicht alles:
Du brauchst Vitamin D zur Insulinherstellung. Außerdem lässt Vitamin D Muskel-, Fett- und Organzellen insulinsensitiv werden.
Deshalb fördert eine Vitamin-D-Unterversorgung eine Insulinresistenz.
Und im Winterhalbjahr sind etwa 80 Prozent der Bevölkerung, im Sommerhalbjahr zirka 60 Prozent der Bevölkerung mit Vitamin D unterversorgt.
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In Die neue LOGI-Diät, Kapitel 15, geht es um wirksame Gegenmaßnahmen — die auch beim Abspecken helfen.
3. Insulinresistenz durch Magnesiummangel
Magnesium ist ein lebenswichtiger Mineralstoff, der in viele Stoffwechselprozesse involviert ist.
Dein Körper braucht Magnesium, damit etwa 600 Enzyme ihre Wirkung entfalten können. Daneben ist es an der Aktivierung 200 weiterer Enzyme beteiligt.
Bei Magnesiummangel Symptomen denken die meisten Menschen zuerst an Wadenkrämpfe. Dabei kann Magnesium viel mehr, als nur „entkrampfen“.
Magnesium kann den Blutdruck senken und die Blutfettwerte verbessern.
Außerdem gibt es immer mehr deutliche Belege dafür, dass Magnesium die Insulinsensitivität verbessert – nämlich dann, wenn es in ausreichender Menge vorhanden ist. Das heißt:
Ein Magnesiummangel begünstigt eine Insulinresistenz.
Leider gilt das auch umgekehrt: Eine bestehende Insulinresistenz verschärft einen Magnesiummangel noch.
Es ist also kein Wunder, dass Patienten mit metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes oft auch an unzureichend mit Magnesium versorgt sind.
Man geht davon aus, dass Magnesium auf folgende Weisen im Körper wirkt:
- verbessert Insulinausschüttung,
- erhöht Insulinempfindlichkeit der Zellen,
- vermindert Entzündungen,
- optimiert den Zucker- und Energiestoffwechsel.
Klinische Studien konnten mit einer Gabe von 250 bis 500 Milligramm Magnesium pro Tag (als Magnesium-Citrat, Magnesium-Gluconat, Magnesium-Orotate oder Magnesium-Aspartate) in einem Zeitraum von vier Wochen bis sechs Monaten günstige Effekte auf den Nüchternzucker, auf die Insulinsensitivität und die Insulinresistenz belegen.
Eine mediterrane Ernährung ist dafür bekannt, vor Diabetes zu schützen. Der hohe Magnesiumgehalt dieser Ernährung liefert hierzu sicherlich einen wesentlichen Beitrag.
Magnesiumreiche Lebensmittel sind Nüsse, Samen, Kleie, Haferflocken, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte und grünes Gemüse.
Zudem ist es bei einer Unterversorgung sinnvoll, Magnesium-reiches Wasser zu trinken.
Reicht dies nicht aus, können Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein.
4. Insulinresistenz durch Ungleichgewicht im Darm
In Deinem Darm leben viele Billionen Bakterien. Früher nannte man das Darmflora, heute hat sich der Begriff „Mikrobiom“ durchgesetzt.
Normalerweise stehen die zahlreichen Bakterienstämme in einem gesunden Gleichgewicht zueinander.
Es sind keine krankmachenden, sondern hilfreiche Bakterien, die Deinen Körper durch ihre Aktivitäten und Stoffwechselprodukte gesund halten.
Unter bestimmten Umständen können sich mehr und mehr ungünstige oder gar schädliche Bakterien ansiedeln.
Der Fachbegriff eines solchen Zustands ist „Dysbiose“.
Ein gesundes Mikrobiom bildet einen natürlichen „Bakterienrasen“ an der inneren Darmwand.
Dadurch ist die Darmschleimhaut vor giftigen Stoffen geschützt. Kommt es zu einem problematischen Ungleichgewicht bei den Bakterien, wird die Schutzschicht dünner und dünner – bis sie schließlich ganz verschwindet.
Eine schutzlose Darmwand wird irgendwann durchlässig.
Man nennt das auch Leaky Gut.
Durch diese „Löcher“ gelangen giftige Stoffe aus dem Darm in die Blutbahn.
Dort angelangt, alarmieren sie das Immunsystem. Und wenn die Ursachen nicht ausgeräumt werden, entsteht eine Art Dauerentzündungszustand im Körper.
Solche chronischen Entzündungen erhöhen das Risiko für eine Insulinresistenz.
Außerdem begünstigen sie einen gestörten Kohlenhydratstoffwechsel und ein metabolisches Syndrom – mit all ihren bekannten negativen Konsequenzen.
Als sei das nicht genug, erreichen die bakteriellen Giftstoffe aus dem Darm auch die Leber, wo sie eine Entzündung provozieren und den Stoffwechsel stören.
Im Endeffekt wird auch die Leber insulinresistent, verfettet („Fettleber“) und eine Fettleber-Hepatitis kann folgen.
Warum werden Zellen insulinresistent?
Alle Kohlenhydrate, die Du isst, wandelt Dein Körper im Verdauungsprozess in Glukose um, also in Zucker.
Danach transportiert er ihn in die beiden zuständigen Speicher: Leber- und Muskelzellen. Die Speicherform von Glukose nennt sich Glykogen.
Deine Leber fasst etwa 80 bis 100 Gramm, in Deine Muskeln passen 300 bis 400 Gramm Glykogen – je nach Muskelmasse.
Die Leber nutzt das Glykogen entweder zur eigenen Energieversorgung oder – das passiert, wenn Du einige Stunden nichts isst – sie gibt es (wieder als Glukose) ans Blut ab.
Dabei spielt Dein Gehirn eine große Rolle. Denn es verbraucht permanent Zucker aus dem Blut und benötigt kontinuierlich Nachschub.
Während Du schläfst, gibt Deine Leber ständig etwas Glukose ans Blut ab, damit Dein Hirn reibungslos arbeiten kann.
Damit dies funktioniert, muss die Leber genügend, aber nicht zu viel Zucker abgeben.
Deine Bauchspeicheldrüse steuert diesen Regelprozess, indem sie etwas Insulin ausschüttet.
Die schlanke, gesunde Leber versteht diese Signale: „Zucker freigeben“ oder eben „Zuckerabgabe einstellen“.
Im Gegensatz zum Gehirn verbrauchen Deine Muskeln im Schlaf und bei geringer Muskelaktivität wenig bis kein Glykogen.
Wenn sie nicht intensiv belastet werden, bevorzugen sie nämlich Fett als Treibstoff. Da die meisten Menschen nicht mehr körperlich arbeiten und auch in ihrer Freizeit einen sesshaften Lebensstil führen, verbrauchen sie kaum mehr Glykogen aus ihren Muskeln.
Bei den meisten Menschen sind die Muskelglykogenspeicher permanent randvoll.
Dennoch tanken sie jeden Morgen, Mittag und Abend wieder reichlich kohlenhydratreichen Treibstoff nach.
Das ist das eigentliche Dilemma!
Wenn der Tank voll ist, Du aber weiter nachtankst – was passiert dann? Der Kraftstoff läuft über!
Nur, dass der überschüssige Treibstoff im Körper nicht wie an einer Tankstelle auf den Boden fließt, sondern in Reservetanks umgeleitet wird – für schlechte Zeiten.
Die Reservetanks sind Deine Fettzellen, wo die überschüssige Energie in Form von Fett gebunkert wird. So vergrößert sich das Fettgewebe.
Das geht eine Zeitlang gut. Jedenfalls so lange, wie die Fettzellen beim Zunehmen gut durchblutet und dadurch fit gehalten werden können. Das gelingt durch körperliche Aktivität:
Fitte Fettzellen brauchen körperliche Aktivität.
Wenn die aber ausbleibt, kommt die Blutversorgung der Fettzellen ins Stocken. Die Fettzellen entzünden sich und ein Teufelskreis entsteht, der zu Fettleber, Diabetes Typ-2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt.
(Zu) fette Fettzellen entzünden sich.
Bei einer Insulinresistenz nimmt dieses Übel noch schneller seinen Lauf. Dann kreisen nach dem Essen immer hohe bis sehr hohe Insulinmengen im Blut.
Eine solche Hyperinsulinämie beschleunigt die Fetteinlagerung nochmals.
Wer (bereits) insulinresistent ist, setzt besonders schnell und „effektiv“ Fett an.
Früher war das anders.
Durch die anstrengende körperliche Aktivität in Arbeit und Freizeit haben die Menschen regelmäßig ihre Kohlenhydratspeicher entleert. Sie konnten ohne negative Folgen täglich reichlich Brot, Kartoffeln und Nudeln nachtanken. Fazit:
Wer traditionell essen will, muss auch traditionell leben. Modern leben und traditionell essen – das macht krank!
Moderner Muskelschwund ist ein weiteres Phänomen, das wir beachten müssen.
Ein cleverer Körper baut jene Gewebe ab, die nicht verwendet werden. So spart er kostbare Energie.
Ohne belastende Muskelaktivität baut der Körper bereits in jungen Jahren übermäßig schnell Muskelmasse ab.
Dieses als Sarkopenie bezeichnete Phänomen ist inzwischen ebenfalls zu einer Volkskrankheit herangereift.
Eine der gravierenden Folgen ist:
Die Tanks für Zucker und Stärke nach den Mahlzeiten werden immer kleiner!
Wozu das führt, wenn immer weniger Zucker in die Muskeln passt, aber täglich unverändert viel nachgetankt wird, wissen wir jetzt.
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In Die neue LOGI-Diät, Seite 39 ff. erfährst Du mehr über die Folgen insulinresistenter Zellen – und warum sie die Fettspeicherung beschleunigen.
Welche Folgen hat eine Insulinresistenz?
Wie beschrieben verbleibt der Zucker bei Insulinresistenz auch dann im Blut, wenn bereits Insulin ausgeschüttet wurde.
In einer solchen Situation alarmieren Wächterzellen das Gehirn. Das wiederum signalisiert der Bauchspeicheldrüse:
„Mehr Insulin, schnell!“
Das Ergebnis ist ein abnormal hoher Insulinspiegel, eine so genannte Hyperinsulinämie.
Der Körper erhöht also einfach die Signalstärke: Er brüllt lauter, um sich bei den taub gewordenen Muskel- und Leberzellen Gehör zu verschaffen.
Dein Körper kann eine fortschreitende Insulinresistenz über viele Jahre kompensieren, indem er mehr und mehr Insulin ausschüttet.
Solange dieser Mechanismus noch funktioniert, wird der Zucker zügig aus dem Blut geleitet.
Dein Arzt würde in dieser Situation bei einer Routineuntersuchung keine erhöhten Blutzuckerwerte feststellen.
Leider löst eine Insulinresistenz noch keine fühlbaren Symptome aus.
Du merkst einfach nichts davon.
Wer Schmerzen oder Unwohlsein empfände, würde wahrscheinlich etwas dagegen tun.
Aber so gibt es keinen Anlass für Betroffene, etwas in ihrem Leben zu verändern, während die Situation sich unter der Oberfläche weiter verschlechtert. Denn wer in einer solchen Situation alles beim Alten lässt, braucht immer mehr Insulin.
Eines Tages reicht selbst die doppelte oder dreifache Dosis Insulin für eine normale Mahlzeit nicht mehr aus.
Dann muss die Bauchspeicheldrüse die sechs-, acht- oder zehnfache Insulinmenge ausschütten.
Irgendwann arbeitet sie an ihrer Belastungsgrenze und kann diese Irrsinnsmengen nicht mehr bewältigen.
Nehmen wir an, Du bräuchtest die zehnfache Dosis Insulin, um den Zucker aus dem Blut zu schleusen. Und Deine Bauchspeicheldrüse produziert die neunfache Menge und ist am Anschlag – mehr geht nicht.
Dann bleibt der ganze Zucker im Blut.
Erst jetzt steigt der Blutzuckerspiegel messbar an.
Erst jetzt wärest Du nach einem oralen Glukose-Toleranz-Test per Definition zum Typ-2-Diabetiker geworden.
Und das, obwohl Du gleichzeitig förmlich in Insulin schwämmest …
Hyperinsulinämie: Die Gefahr abnormal hoher Insulinspiegel
Das eigentliche Problem ist also nicht die Insulinresistenz. Das eigentliche Problem ist die über Stunden abnormal hohe Insulinkonzentration im Blut nach dem Essen.
Eine Hyperinsulinämie wird auf Dauer gefährlich.
Sie aktiviert nämlich unter anderem Gene in der Leber.
Und die sorgen dann dafür, dass ein großer Teil der Kohlenhydrate aus der Nahrung ab sofort höchst effizient in Fett umgebaut und direkt eingelagert werden.
Das Tückische daran:
Jetzt wird auch ohne Kalorienüberschuss Fett eingelagert.
Nicht nur in der Leber – die sich schrittweise in eine nicht-alkoholische Fettleber verwandelt –, auch die Fettzellen schwellen jetzt beschleunigt an.
Die Bezeichnung des Insulins als Speicher- bzw. Masthormon trifft durchaus zu.
Aber nur dann, wenn wir von krankhaft hohen Konzentrationen reden. Für die normalen, lebenswichtigen Insulinmengen gilt das nicht.
Im Netzwerk der Hormone verschieben diese hohen Insulinmengen ganz allgemein das hormonelle Gleichgewicht.
Frauen können beispielsweise unfruchtbar werden, weil plötzlich zu viel Testosteron vorhanden ist. Dadurch reifen ihre Eizellen nicht mehr aus. Diese Störung nennt sich polyzystisches Ovarialsyndrom (PCO-Syndrom).
Beim Mann ist es eher umgekehrt: Der Testosteronspiegel sinkt, Männer entwickeln Erektionsstörungen, verlieren die Zeugungsfähigkeit und entwickeln Männerbrüste.
Nicht zuletzt: Insulin ist ein potentes Wachstumshormon. Ein Zuviel davon lässt auch Krebszellen gedeihen und unterstützt deren Ausbreitung.
Lass‘ uns zum Abschluss noch eine Sonderform der Insulinresistenz besprechen, die auch im gesunden Organismus entstehen kann.
Insulinresistenz beim Gesunden – durch „No-Carb“ und Keto-Ernährung?
Bei einer sehr kohlenhydratarmen Kost reagiert der gesunde Körper mit einer „freiwilligen“ Insulinresistenz.
Es ist eine Art von Urprogramm.
Unter „No Carb“-Umständen lässt Dein Körper keinen Zucker mehr in die Muskeln.
Er tut dies, um die geringe noch vorhandene Zuckermenge für die Zellen aufzusparen, für die der Zucker überlebenswichtig ist – das zentrale Nervensystem.
Gehirn und Nerven müssen schließlich ständig mit einer Mindestmenge Glukose versorgt werden.
Muskeln hingegen funktionieren auch mit Fett. Zucker benötigen sie nur für Höchstleistungen.
Bei einer sehr kohlenhydratarmen Kost baut der Körper aus den gespeicherten Fettsäuren so genannte Ketonkörper auf.
Diese Ketonkörper können bis zu 60 Prozent des Zuckerbedarfs alternativ abdecken.
Das ist überaus sinnvoll, denn mit dieser zuckersparenden Maßnahme schützt Dein Körper Dich auch vor übermäßigem Muskelabbau.
Im Notfall würde Dein Körper sonst nämlich Muskeln abbauen, um daraus Zucker zu bilden.
Sobald wieder genügend Kohlenhydrate vorhanden sind, deaktiviert Dein Körper diese muskuläre Insulinresistenz allerdings schnell wieder.
Diese Form der Insulinresistenz ist also unproblematisch.
Gesunde vs. ungesunde Insulinresistenz
Eine „gesunde“ (physiologische) Insulinresistenz kannst Du bequem vertreiben, indem Du ein Stück Kuchen isst. Die krankhafte Insulinresistenz würdest Du dadurch allerdings noch verschlimmern.
Bei ärztlichen Untersuchungen ist daher Vorsicht geboten.
Wenn Du einen Blutzuckerbelastungstest (oraler Glukose-Toleranz-Test bzw. oGTT) durchführst, um zu prüfen, ob bereits ein Diabetes vorliegt, musst Du einige Tage vorab kohlenhydratbetont essen.
Ansonsten könnte der Test anschlagen, obwohl alles in Ordnung ist!
Wie bestimmt man eine Insulinresistenz?
Bereits mit einer einfachen Bestimmung des Nüchtern-Insulinspiegels im Blut kann der Hausarzt einer Insulinresistenz auf die Spur kommen.
Ab einem Wert über 11 mU/ml bist Du mit hoher Wahrscheinlichkeit insulinresistent.
Für eine etwas konkretere Schätzung berechnet man den sogenannten HOMA-Index.
Hier werden zwei Messwerte nach einer zwölfstündigen Nahrungskarenz miteinander verglichen: der Nüchtern-Blutzucker und der Nüchtern-Insulinwert.
Aus beiden Messwerten berechnet man dann den Wert.
Ein HOMA-Index-Wert unter 2,5 liegt im grünen Bereich.
Ein solches Ergebnis deutet auf eine (noch) normale Insulinsensitivität hin.
Aber ein HOMA-Index von 6 spricht für eine schwere Insulinresistenz.
Dieser Wert sagt aus, dass die Bauchspeicheldrüse für die gleiche Menge zugeführten Traubenzuckers etwa sechsmal so viel Insulin produzieren muss wie bei Insulinsensitiven.
Noch aussagekräftiger ist der erwähnte Blutzucker-Belastungstest (oGTT).
Dazu isst Du zuerst 75 Gramm Traubenzucker. Ein und zwei Stunden danach sollte dann nicht nur die Blutzucker-, sondern auch die Insulinkonzentration im Blut bestimmt werden.
Je mehr Insulin im Verhältnis zur Zuckerkonzentration im Blut vorliegt, desto stärker ist die Insulinresistenz.
Auch die Klärung des Verhältnisses der Blutfettwerte, genauer der Triglyceride zum HDL-Cholesterin (TG/HDL), ist eine recht aussagekräftige und dabei einfache Methode.
Liegt das TG/HDL-Verhältnis bei Frauen über 2,5 und bei Männern über 3,5, dann ist eine Insulinresistenz sehr wahrscheinlich.
Fazit
Je älter wir werden, je mehr Fett wir in den Körper einlagern, je weniger wir unsere Muskeln anstrengen, desto wahrscheinlicher werden wir insulinresistent (beziehungsweise desto stärker wird die Insulinresistenz).
Auf den Punkt gebracht, können wir auch sagen:
Je weniger »artgerecht« wir leben, desto eher werden wir insulinresistent.
So sollte sich jeder mit zunehmendem Alter oder zunehmender Verfettung dringend um seinen Insulinhaushalt kümmern.
Wie genau, das erfährst Du im Detail in Die neue LOGI-Diät. Fakt ist: Auch, wer bereits eine Insulinresistenz manifestiert hat, kann – und sollte – etwas dagegen tun.
Prof. Dr. Nicolai Worm ist Ernährungswissenschaftler und Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement Saarbrücken.
Er arbeitet seit über 30 Jahren als Dozent, u.a. im Bereich Sporternährung für den Deutschen Sportbund und hat bereits eine Vielzahl von Gesundheits- und Ernährungsbüchern veröffentlicht, darunter die LOGI und Flexi Carb Methoden.
Sein Buch „Die neue LOGI-Diät: Mediterran abnehmen – wissenschaftlich basiert“ ist bei Amazon und in allen Buchläden erhältlich
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