Die Kniebeuge ist eine der effektivsten Muskelaufbau- und Fettabbau-Übungen überhaupt. Wenn Du nackt gut aussehen willst, solltest Du sie trainieren. Doch was heißt „Kniebeugen richtig machen“ eigentlich? Dieser Artikel stellt einige gängige Lehrmeinungen in Frage.
Für einige Menschen bleiben tiefe Kniebeugen auch dann eine Herausforderung, wenn sie bereits intensiv an ihrer Beweglichkeit und Technik gearbeitet haben.
Ursache und Lösung des Problems liegen möglicherweise auf einer Ebene, die selbst Fitnessexperten oft verborgen bleibt.
Wer die Kniebeuge trainiert (oder gar coacht), sollte diesen Artikel lesen.
Es ist ein Gastbeitrag von Dr. Ryan DeBell. Ryan ist Sportwissenschaftler und Chiropraktiker und publizierte diese Inhalte zuerst auf seinem amerikanischen Blog „The Movement Fix„.
Damit übergebe ich das Wort an Ryan. Viel Spaß beim Lesen!
Warum jeder Mensch die Kniebeuge anders ausführen MUSS…
Dieser Artikel gibt Dir Antworten auf die folgenden Fragen:
- Warum Dein Gefühl die richtige Schrittweite bei der Kniebeuge bestimmt,
- warum die Fußspitzen bei einigen Menschen (nicht bei jedem!) nach außen weisen – unabhängig davon, wie beweglich sie sind.
- Warum tiefe Kniebeuge einigen Menschen extrem schwer fallen (während „ass-to-the-grass“ für andere kein Thema ist).
- Warum einige Menschen begnadete Pistol Squatter sind, während andere daran verzweifeln.
Am Ende des Artikels kennst Du das Geheimnis, warum „die richtige Kniebeuge“ für jeden Menschen anders ist.
Kniebeugen richtig machen #1 – Anatomische Grundlagen
Dein Hüftgelenk besteht in erster Linie aus zwei Elementen:
- einem „Sockel“ an Deiner Hüfte, dem so genannten Acetabulum („Essignäpfchen“) und
- einer „Kugel“ am oberen Ende Deines Oberschenkelknochens (Femur).
Neben einer ganzen Reihe von Muskeln, die das Hüftgelenk umgeben, besteht es auch aus einer Gelenkkapsel und Bindegewebe.
Bei der Kniebeuge spielen eine ganze Reihe anatomischer Gesichtspunkte eine Rolle, die einen einzelnen Artikel jedoch sprengen würden.
Das Hüftgelenk weist individuelle Besonderheiten auf, die selbst gut ausgebildeten Trainern oft nicht bekannt sind.
Diese Besonderheiten solltest Du kennen, wenn Du Kniebeuge richtig machen und Verletzungen vermeiden möchtest.
Der Fokus in diesem Artikel liegt also auf Deinem Hüftgelenk.
Kniebeugen richtig machen #2 – Anatomische Abweichungen
Wenn jemandem die Kniebeuge schwer fällt, die Füße nach außen weisen oder er am liebsten einen weiten Stand einnimmt, dann schlussfolgern wir Trainer und Therapeuten meist reflexartig: „Deine Hüften sind fest, Du musst sie mobilisieren.“
Wenn Du auf Mobilisierung pochst, ohne die anatomischen Abweichungen des Hüftgelenks in Betracht zu ziehen, begibst Du Dich möglicherweise aufs Glatteis.
Lass‘ uns einen Blick auf das erste Bild werfen.
Hier siehst Du die Oberschenkelknochen zwei verschiedener Menschen. Einer zeigt mehr nach oben, der andere mehr nach unten.
Glaubst Du, dass beide Menschen die gleiche Kniebeuge durchführen könnten – bei so unterschiedlicher Knochenstruktur?
Falls Du noch skeptisch bist, wirf‘ einen Blick auf das nächste Foto.
Hier siehst Du, wie verschieden die „Kugeln“ des Kugel- und Sockelgelenks ausfallen können: Die linke hebt sich deutlich weiter vom Femur ab als die rechte.
Dieser Unterschied hat einen gravierenden Einfluss auf die Biomechanik, mit der die beiden Menschen in die Kniebeuge gehen.
Keine Behandlung des Weichgewebes (Muskeln, Sehnen, Faszien) wird daran etwas ändern.
Nun schau‘ Dir das dritte Foto an.
Siehst Du, wie verschieden die Winkel zwischen „Kugel-Schaft“ und Femur sind?
Links im Bild liegen Femur und Kugel in einer (im Bild waagerechten) Ebene, während der Kugel-Schaft rechts um ca. 45° zur Waagerechten verdreht ist.
Einer dieser beiden Menschen wird durch seine Knochen blockiert, wenn er versucht, im engen Stand in die Kniebeuge zu gehen – während der andere die enge Kniebeuge wie ein Großmeister beherrschen kann.
Im weiten Stand wendet sich das Blatt: Dem Einen wird die Kniebeuge mit weitem Stand leicht fallen, während der andere dabei Schmerzen fühlt.
Es ist offensichtlich, wenn Du Dir die Kugel anschaust, oder?
Als Trainer vermuten wir oft, die mangelnde Beweglichkeit rühre von einem verkürzten Piriformis-Muskel her. Dehnen wäre dann eine mögliche Lösung.
Doch der Piriformis ist offensichtlich nicht immer der limitierende Faktor…
Die Sache wird noch interessanter, wenn Du Dir den Sockel anschaust. Wirf‘ einen Blick auf das vierte Foto.
Auf der linken Seite kannst Du in den Sockel hineinschauen.
Diese Person kann höchstwahrscheinlich eine gute enge Kniebeuge ausführen, während die rechte Person dabei buchstäblich mit sich selbst kollidiert.
Bild Nummer Fünf macht das noch deutlicher, wenn Du darauf achtest, wie viel wir vom Hüftsockel sehen können.
Diese beiden Menschen könnten unter keinen Umständen die gleiche Kniebeuge durchführen. Es ist ihre Knochenstruktur, die sie buchstäblich daran hindert.
Im sechsten Foto siehst Du den Hüftsockel von der Seite. Der rechte zeigt geradewegs nach außen, während der linke nach vorne unten weist.
Vermutlich fällt die Einbein-Kniebeuge (Pistol-Squat) einem von beiden leichter und dem anderen schwerer.
Wie Du die ideale Standposition ohne teures Laborgerät herausfindest
Im folgenden Video zeige ich Dir eine Möglichkeit, wie Du die ideale Standposition schnell für Dich herausfindest.
Es ist zwar keine perfekte Lösung, Aber die meisten Menschen haben erstens keine medizinischen Messgeräte zur Hand und zweitens halte ich Röntgen nicht für nötig.
FAQ – Häufige Fragen und Antworten
Seit der ersten Veröffentlichung des Artikels auf meinem Blog wurden mir viele Fragen dazu gestellt. Die häufigsten beantworte ich in dem folgenden Video.
Bitte entschuldige, ich spreche leider kein Deutsch. Aber Du kannst mir gerne eine englische Frage in den Kommentaren stellen, am besten direkt auf YouTube im verlinkten Video. (Notfalls verwende einfach einen Übersetzer.)
Fazit
Athleten führen die Kniebeuge nicht auf die gleiche Weise aus – und das SOLLTEN sie auch nicht!
Ich hoffe, ich konnte Dir verdeutlichen, WARUM das so ist.
Dein gutes Gefühl bestimmt, wie weit der optimale Stand beim Kniebeugen für Dich ist.
Damit führst Du die Knochenstruktur Deines Hüftgelenks in eine günstigere Position.
Es gibt Menschen, die die Kniebeuge eng ausführen und andere, die sie weit ausführen. Diese Tatsache muss nicht mit verkürzten Muskeln oder „engen“ Gelenkkapseln zusammenhängen, sondern es könnte auch an ihrer Knochenstruktur liegen.
Dennoch ist es richtig, dass nur wenige Menschen das volle Mobilitäts-Potenzial ihrer Hüfte ausnutzen.
Übungen, mit denen Du Deine Mobilität verbesserst, sind also ebenso wichtig fürs tiefe Kniebeugen.
Weil die Gelenke bei jedem Menschen anders angeordnet sein können, kann auch eine „gute Beweglichkeit“ bei jedem von uns etwas anders aussehen.
Über den Gastautor
Dr. Ryan DeBell
Ryan ist Sportwissenschaftler und hat an der University of Western States promoviert. Die Bewegung des Menschen ist seine Leidenschaft. Er hilft Menschen, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu verbessern. Er ist Inhaber von The Movement Fix, außerdem findest Du ihn auf Instagram.
Frage: Mit welcher Ausführung fühlt die Kniebeuge sich für Dich am besten an? Wählst Du einen weiten oder einen eher engen Stand? Schreib einen Kommentar.
Bildquellen
Fotos im Artikel „Kniebeugen richtig machen“: (c) Lars Wehrmann: Titelbild; (c) alle Knochenfotos mit Erlaubnis von http://www.paulgrilley.com/bone-photo-gallery