„Ich möchte schnell abnehmen mit Sport, aber es tut sich nichts“, höre ich regelmäßig im Fitness Coaching.
Lifestyle Zeitschriften und einschlägige Fitness-Seiten sind voller Mythen und Märchen über die Auswirkungen von Sport auf unser Gewicht.
Viele sind deswegen zu Recht verunsichert.
Zeit, ein paar alte Zöpfe abzuschneiden und Ordnung zu schaffen im Dschungel der Fitness-Mythen!
Hier die vier Kandidaten für die Neuauflage von Grimm’s Märchen:
- Mythos: Sport hilft nicht beim Abnehmen.
- Mythos: Sport macht Dich noch hungriger.
- Mythos: Du kannst Dich fürs Training „belohnen“
- Mythos: Unsere Gesellschaft trainiert mehr – und wird trotzdem fetter
Letzte Woche sind Du und ich dem ersten Mythos auf den Grund gegangen, Sport helfe nicht beim Abnehmen.
Wir haben ihn als Märchen enttarnt und uns damit beschäftigt, wie Du mit Sport sehr wohl abnehmen kannst.
Und genau dort setzen wir heute nahtlos an – wir widmen uns den verbleibenden drei Mythen.
2. Mythos: Sport führt zu mehr Hunger
Diese Aussage sei schlicht falsch, so Dr. David Stensel, der an der Loughborough Universität in England den menschlichen Stoffwechsel unter Trainingsbedingungen erforscht.
In seiner Studie aus dem Jahr 2010 stellte er fest, dass Probanden, die für 90 Minuten trainierten, an Trainingstagen ebenso viele Kalorien zu sich nahmen wie an trainingsfreien Tagen.
Eine Reihe anderer wissenschaftlicher Arbeiten zeigen übrigens, dass Sport die Produktion des appetitanregenden Hormons Ghrelin senkt. Und auch wenn sich der Hormonspiegel relativ bald wieder erholt, wird er nicht über das Niveau vor dem Training hinausschießen.
Langfristig reagiert Dein Körper auf anhaltendes Training genauso wie auf eine konstant reduzierte Kalorienaufnahme.
Egal wie sehr Du Dir ein Sixpack wünschst, Dein Körper ist auf Gleichgewicht programmiert: Kalorienaufnahme = Kalorienverbrauch.
Langfristig wird also auch Dein Appetit zunehmen, wenn Du Dich kontinuierlich mehr verausgabst. Wie sehr, hängt von einer Vielzahl Faktoren ab: Die Gene können hier ebenso eine Rolle spielen wie erlernte Verhaltensmuster.
Bis heute ist die Forschung noch nicht in der Lage, einen exakten Zusammenhang zwischen beispielsweise Appetit und tatsächlicher Nahrungsaufnahme herzustellen.
Ich persönlich halte die Auswahl geeigneter Lebensmittel für einen wesentlichen Trigger zum Schlanksein.
Sicher spielt es eine Rolle, ob Du bei Appetit auf etwas Süßes eine Banane oder eine Tafel Schokolade isst.
Lösung: Schnell abnehmen im Alltag
Die Kleinigkeiten im Alltag machen den Unterschied. Forscher der Universität Missouri fanden heraus, dass Läufer, die neben einem Wochenpensum von 50 Kilometern ansonsten wenig Bewegung hatten, weniger Kalorien verbrauchten als alltagsaktive Nicht-Sportler.
Menschen, die im Stehen arbeiten, verbrauchen pro Tag etwa 750 Kalorien mehr als Sitzarbeiter, ohne dass sie mehr Appetit bekämen.
Am besten überlässt Du das nicht dem Zufall: Jeder von uns hat täglich genügend Möglichkeiten zur Bewegung.
Hol Dir einen Fitness-Tracker, z.B. Fitbit Charge 2 oder den Omron Schrittzähler und versuche, Dein Aktivitätslevel im Alltag kontinuierlich nach oben zu schrauben.
3. Mythos: Du kannst Dich fürs Training „belohnen“
Okay, kannst Du, aber solltest Du nicht – zumindest nicht mit Essen. Der Grund ist einfach: Die Arbeit einer Stunde kannst Du in Sekunden zunichte machen.
Sportkalorien kannst Du in Sekunden „nachfüllen“
Sagen wir, Du läufst morgens vor der Arbeit 40 Minuten bei einem 6 min/km Schnitt. Ein gutes Workout, damit verbrennst Du um die 500 Kalorien.
Auf dem Weg ins Büro schnappst Du Dir bei Starbucks einen kleinen Chocolate Cream Frappuchino (fettarme Milch, ohne Sahne) – das macht 680 Kalorien, mehr als Du zuvor beim Sport verbrannt hast.
Nun wissen wir zwar, dass Kalorie nicht gleich Kalorie ist und zumindest bei einer hochintensiven Einheit der Nachbrenneffekt dazukommt – aber das Prinzip „Energieabgabe – Energieaufnahme“ wird klar.
Die meisten Menschen, die durch Sport zunehmen oder nicht in dem Maße Fett verlieren, wie sie sollten, „belohnen“ sich nach der Trainingseinheit mit sehr energiereichen Mahlzeiten.
Viele Menschen überschätzen den tatsächlichen Energieverbrauch beim Sport. In einer Studie der Universität Ottawa aus dem Jahr 2010 ließen die Forscher 8 Männer und 8 Frauen so lange auf einem Laufband walken, bis sie 200 bzw. 300 Kalorien verbraucht hatten.
Danach sollten die Teilnehmer ihren Energieverbrauch einschätzen.
Die Probanden nannten Werte, die um das Drei- bis Vierfache höher lagen. Im Anschluss sollten sie in etwa soviel essen, wie sie zuvor verbraucht haben.
Auch hier lag die Energieaufnahme um das Zwei- bis Dreifache über dem tatsächlichen Bedarf.
Kein Training ohne Spaß
Nach meiner Erfahrung, sowohl vom eigenen Training als auch aus dem Fitness Coaching, spielt Spaß eine entscheidende Rolle.
Wer sich zum Sport „zwingt“ und sich 60 Minuten auf dem Laufband quält, obwohl ihm Fußball mehr Spaß bringt, sollte auf den Bolzplatz gehen.
Wenn Du den Sport ausübst, der Dir Freude bereitet, dann ist das Training selbst Belohnung genug!
Sportler schätzen natürliche Lebensmittel
Übrigens gibt es auch gute Nachrichten von der Forscher-Front: Das Verlangen nach hochkalorischen Mahlzeiten sinke nach einer Ausdauereinheit, stellten kalifornische Wissenschaftler fest.
Regelmäßiges Training könne dazu führen, so die Forscher, dass Menschen Appetit auf natürliche, gesunde Lebensmittel anstelle auf maschinell hergestellte Süßigkeiten und Fastfood bekämen.
Lösung: Spaß und Augenmaß
Erstens: Such Dir einen Sport aus, der Dir Spaß macht, die Belohnung erhältst Du dann schon beim Training!
Zweitens solltest Du Deinen Kalorienverbrauch beim Sport überprüfen. Beim Laufen, Schwimmen und Radfahren kann eine gute GPS Trainingsuhr einen recht genauen Wert ermitteln, der Körpergewicht, Alter, Belastungspuls und Tempo mit einbezieht.
Drittens solltest Du ein Bewusstsein für Deine Portionsgrößen entwickeln. Dabei können Dir Nährwert-Tracker wie die iPhone App CaloryGuard schnell und einfach einen Überblick geben.
Viertens ist eine sehr wirksame Strategie, auf Lebensmittel mit niedriger Energiedichte und niedrigem glykämischen Index (GI) zurückzugreifen. Damit ist Dein Magen gefüllt, ohne dass Du wieder zu viele Kalorien aufnimmst. Der niedrige GI sorgt für einen relativ konstanten Blutzuckerspiegel und damit verbunden ein lange anhaltendes Sättigungsgefühl. Sehr gut geeignet sind ballaststoff- und proteinreiche Lebensmittel.
Pro Mahlzeit solltest Du 30-40 Gramm Protein aufnehmen. Gute ballaststoffreiche Lebensmittel sind Bohnen, Haferflocken, Früchte, Kohlgemüse (Broccoli, Blumenkohl, …) und Spinat. Suppen und Eintöpfe helfen durch den hohen Wasseranteil ebenso zu einer niedrigen Nährstoffdichte und füllen gut. Ein großes Glas Wasser vor dem Essen hat übrigens den gleichen Effekt.
4. Mythos: Unsere Gesellschaft trainiert mehr – und wird trotzdem fetter
Die Überschrift will uns sogar zwei Zusammenhänge weismachen, wo es keinen gibt:
- Erstens suggeriert sie, dass Menschen, die sich regelmäßig körperlich betätigen, dicker werden. Für diesen Zusammenhang gibt es keinen Beweis und aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass die Freunde, Bekannten und Klienten, die regelmäßig Sport treiben, am besten ihre schlanke Linie halten.
- Zweitens wird angenommen, dass heute mehr Menschen Sport treiben als früher. Tatsächlich ist der Unterschied minimal: Die SOEP Studie des DIW aus dem Jahr 2005 kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 1990 etwa 28% aller Deutschen regelmäßig trainieren, während es 2005 30% sind – der Unterschied ist einerseits minimal und schwankt zudem von Jahr zu um 5-8 Prozent.
Es stimmt also nicht wirklich, dass die Deutschen heute deutlich mehr Sport machen als noch vor 20 Jahren. Auf der anderen Seite steigt die Anzahl derjenigen, die sich wenig oder fast gar nicht bewegen und im Sitzen arbeiten.
Und genau hier liegt höchstwahrscheinlich eine Ursache dafür, dass die Deutschen immer dicker werden:
Wir bewegen uns im Alltag immer weniger.
Wer etwas dagegen tun möchte, darf sich bewegen – oder nimmt zu.
Lösung: Jeder Schritt zählt!
Hier gilt die einfache Regel: Kleinvieh macht auch Mist, jeder Gang macht schlank, jeder Schritt zählt.
Selbst ein entspannter Spaziergang am Abend kann Dir die Bewegung geben, die Du heute vielleicht nicht mehr auf der Arbeit bekommst.
Bisher haben wir nur über Appetit und Gewichtsthemen gesprochen und dabei ein wichtiges, tiefergehendes Thema ganz ausgeklammert: Sport, Training und Bewegung haben positive Effekte auf uns, die wir nicht im Spiegel, auf der Waage oder mit dem Maßband begutachten können.
Je fitter Du bist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Du Opfer eines Herzinfarkts wirst oder an Diabetis erkrankst.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Menschen, die regelmäßig Sport treiben, gesünder sind als Abstinenzler, auch wenn Sie trotz ihres Trainings ein paar Kilogramm zunehmen.
Eine Studie der Universität Missouri aus dem Jahr 2010 weist Sportlern deutlich höhere (gute) HDL Cholesterinwerte, eine höhere Insulin-Empfindlichkeit und niedrigeren Blutdruck aus als Nichtsportlern.
Fazit
Fakt ist, dass unser Workout nicht Bestandteil eines kontrollierten wissenschaftlichen Experiments ist. Der Vorteil, den wir daraus ziehen, steht im Zusammenhang mit dem Aufwand, den wir dafür treiben wollen.
Und vor allem: wie regelmäßig wir Trainieren.
Nicht zuletzt sollte der Spaß im Vordergrund stehen.
Und das ist kein Mythos.
Mehr zum Thema: Es gibt einen richtigen und einen falschen Weg, um Fett abzubauen.
Fotos im Artikel „Kannst Du schnell abnehmen mit Sport?“: © iStock/kingpics