Kalendarisches und biologisches Alter unterscheiden sich: Einige Menschen altern schneller, andere langsamer. Der neue Genetic Age Test soll das biologische Alter berechnen können, sogar ziemlich genau. Lass uns der Sache auf den Grund gehen – in einem Selbstversuch mit überraschenden Ergebnissen.
Mit Erscheinen dieses Artikels bin ich exakt 42 Jahre alt. Sagt mein Ausweis. Allerdings fühle ich mich deutlich jünger.
Seitdem ich vor mehr als einem Jahrzehnt einen lebensverändernden Beschluss fasste, treffe ich im Alltag andere Entscheidungen:
Ich mache Dinge, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, fit und gesund 100 Jahre alt zu werden.
Um das zu erreichen, müsste ich langsamer altern. Ob und wie gut ich das hinbekomme, lässt sich inzwischen testen. Mit dem vom Fraunhofer Institut und dem Hamburger Unternehmen CeraScreen entwickelten Genetic Age Test.
Wie seriös sind solche Tests, die das biologische Alter berechnen? Um das zu beantworten, habe ich jemanden eingeladen, der sich damit auskennt:
Dies ist ein Gastbeitrag des Wissenschaftsjournalisten Dr. Peter Spork.
Spätestens seit Erscheinen seines Spiegel-Bestsellers „Der zweite Code“ gehört Peter zu den führenden Epigenetik-Experten in Deutschland. Er hat den Genetic Age Test unter die Lupe genommen, erklärt die wissenschaftlichen Grundlagen und beantwortet einige kritische Fragen, wie Du mit den Testergebnissen umgehst.
Ich habe mich an Peters Selbstversuch beteiligt und den Test auch gemacht. Was dabei herauskam – und wie Du diese Erkenntnisse für Dich nutzen kannst, weißt Du am Ende dieses Artikels.
Damit übergebe ich das Wort an Peter. Viel Spaß beim Lesen!
Bist Du wirklich so jung, wie Du Dich fühlst?
Es ist fast vier Jahre her, ich feiere meinen fünfzigsten Geburtstag: ein tolles Fest, ein wunderbarer Tag. Viele Freunde und Familienmitglieder freuen sich mit mir.
Ich bin glücklich und zufrieden, wähne ich mich doch im besten Alter und kann gleichzeitig auf ein halbwegs erfülltes Leben zurückblicken. Doch unlängst kommen mir Zweifel und ich frage mich:
Was, wenn mein kalendarisches Alter vom biologischen abweicht?
Vielleicht bin ich ja viel älter, als ich sein sollte? Vielleicht aber auch jünger? Wer weiß das schon …?
Bestimmt kennst Du den Spruch: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Und wie 50 fühle ich mich definitiv noch nicht. Andererseits: Woher will man eigentlich wissen, wie sich jemand im eigenen Alter „normalerweise“ fühlt?
Und so beginne ich, über mein biologisches Alter nachzudenken:
Bist Du wirklich so jung, wie Du Dich fühlst?
Vor allem interessieren mich zwei Fragen, die für alle, die sich der magischen 60-Jahre-Grenze nähern, essenziell wichtig sind:
- Wie gesund habe ich bisher gelebt?
- Welche Lebenserwartung habe ich, wenn ich so weitermache wie bisher?
Tatsächlich soll es einen Weg geben, genau diese Antworten zu finden …
Was ist der Genetic Age Test?
Seit Herbst 2018 gibt es einen Test, der zwei Fragen ein Stück weit beantworten will.
Laut Hersteller soll der Genetic Age Test das biologische Alter auf plus/minus 2,5 Jahre genau berechnen.
Das wäre erstaunlich gut und überträfe alle bisherigen Methoden zur Altersbestimmung von Menschen. Es überträfe auch die zuletzt in Studien meistbenutzte Messung der Telomerlänge. Telomere sind die molekularbiologischen Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen.
Der neue Test verrät uns letztlich, wie rasch wir im Laufe des bisherigen Lebens gealtert sind und vermutlich weiter altern werden.
Sind wir dabei schneller als der Durchschnitt, ist unser biologisches Alter höher als das kalendarische und unsere Lebenserwartung ist vermindert.
Altern wir aber langsamer, sind wir eigentlich jünger als es im Pass steht und dürfen darauf hoffen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit besonders lange zu leben.
Spoiler: Ich habe es gewagt und den Genetic Age Test durchgeführt. Doch vorher habe ich mich etwas ziemlich Naheliegendes gefragt …
Wie würdest Du mit einem negativen Ergebnis im Genetic Age Test umgehen?
Angenommen, der Test schätzte mein biologisches Alter fünf Jahre höher ein – in dem Fall 59 statt 54 Jahre.
Kannst Du auch einem „schlechten“ Resultat etwas Gutes abgewinnen? Nur, wenn Du die Frage mit „Ja“ beantworten kannst, solltest Du den Genetic Age Test durchführen.
Ich konnte. Denn eines war mir absolut klar:
Die Erkenntnis, dass ich besonders rasch altere, würde mich motivieren, in Zukunft mehr für meine Gesundheit zu tun.
Dann würde ich achtsamer leben.
Auf meine persönlichen Erfahrungen mit dem Test und seinem Resultat komme ich natürlich noch zurück. Lass uns zuvor eine kleine Abenteuerreise durch die Wissenschaft machen.
Die Wissenschaft vom Genetic Age Test: Wie lässt sich das biologische Alter berechnen?
Dabei stehen vor allem diese Fragen im Mittelpunkt:
- Was wird bei der Altersbestimmung gemessen?
- Wie seriös ist der Genetic Age Test?
- Wie wurde der Genetic Age Test entwickelt?
- Was bedeutet diese neue Methode für uns und für die Wissenschaft?
Es ist eine lange Geschichte. Und es ist eine Erfolgsgeschichte. Denn sie handelt von einem völlig neuen wissenschaftlichen Ansatz, der die biomedizinische und psychologische Forschung verändern wird.
Die Geschichte des neuen Tests beginnt im Jahr 2011 mit einer Veröffentlichung im Fachblatt PLoS One.1 Forscher um den Humangenetiker Eric Vilain und den Biostatistiker Steve Horvath von der University of California stellen darin ein neues epigenetisches Berechnungsmodell vor:
Vilains und Horvaths Algorithmus bestimmt das Alter eines Menschen aus einer simplen Speichelprobe.
Dazu wird das Muster bestimmter epigenetischer Veränderungen am Erbgutmolekül, der DNA, verwendet.
Die Methode eigne sich für kriminaltechnische Untersuchungen, so die Autoren, wenn man zum Beispiel das Alter eines Täters oder eines Opfers nicht kenne. Außerdem helfe das Verfahren vielleicht, das Risiko eines Menschen für altersbedingte Krankheiten besser abzuschätzen.
Aber was genau untersuchten die Kalifornier? Was sind überhaupt epigenetische Strukturen?
Warum Du Dein epigenetisches Alter bestimmen musst, um Dein biologisches Alter berechnen zu können
Im Laufe unseres Lebens lagern Enzyme – mehr oder weniger systematisch – kleine chemische Gruppen aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen an die DNA an.
Diese Methylgruppen binden immer nur an eine der vier Basen der DNA, die Cytosin heißt.
Diesen Prozess nennt man DNA-Methylierung.
Er erfüllt eine wichtige biologische Funktion. Eine Zelle enthält rund 23.000 Gene.
Das MUSTER der DNA-Methylierungen entscheidet (gemeinsam mit anderen epigenetischen Markierungen), welche ihrer Gene eine Zelle benutzen kann.
Und umgekehrt bestimmt es, welche Gene es NICHT benutzen kann.
Da diese Ebene der Information nicht im Text der DNA selbst versteckt ist, sondern in ihren Anhängseln und ihrer Umgebung, nennt man sie epigenetisch. Das Wort „epigenetisch“ bedeutet so viel wie zusatzgenetisch, nebengenetisch oder übergenetisch.
Epigenetische Strukturen programmieren Deine Zellen.
Sie tun das, ohne dabei die Biomoleküle zu verändern, aus denen Deine Zellen bestehen und mit denen sie – z.B. über Hormone – arbeiten und kommunizieren.
Wenn wir alle epigenetischen Strukturen einer Zelle als Ganzes betrachten, reden wir vom Epigenom. Es bestimmt, welche Biomoleküle eine Zelle wie gut erzeugen kann und welche nicht.
Das Epigenom legt die IDENTITÄT einer Zelle fest.
Ob eine Zelle beispielsweise zur Haut-, Blut- oder Nervenzelle wird, entscheidet das Epigenom.
Außerdem bildet es eine Art Gedächtnis für Umwelteinflüsse.
Denn als Reaktion auf äußere Signale verändern Zellen häufig ihr Epigenom.
Epigenetische Markierungen greifen also in die REGULATION der Gene ein, nicht in die Gene selbst.
Sie sind deshalb nicht starr wie die DNA, die Baupläne für Proteine speichert, sondern potenziell reversibel.
Dadurch passen Lebewesen sich oft erstaunlich gut und flexibel an schwankende Umweltbedingungen an.
Indem sie die Epigenome in ihren Zellen umbauen, wandeln sie ihren Zellstoffwechsel, ohne die eigentliche Erbsubstanz, die DNA, verändern zu müssen.
Die DNA-Methylierung verändert sich übrigens nicht nur durch Umwelteinflüsse oder den Lebensstil. Manchmal passiert das auch zufällig. Vor allem verändert sie sich ein Stück weit ganz systematisch im Laufe des Lebens.
Das muss so sein, denn auf diesem Wege regelt die Epigenetik die biologische Entwicklung eines Lebewesens aus der befruchteten Eizelle bis hin zum erwachsenen Menschen mit seinen rund 300 Gewebe-Typen und 30 Billionen Körperzellen.
Und womöglich läuft diese Entwicklung kontinuierlich weiter – bis ins hohe Alter.
Die Epigenetik des Alterns: Das Epigenom im Alter von 0, 26 und 103 Jahren
Mit dem Altern scheint sich das menschliche Epigenom – also die Gesamtheit der epigenetischen Marker in den Zellen – charakteristisch zu verändern. Das könnte mitverantwortlich für viele Alterserscheinungen sein, folgerte im Jahr 2012 ein internationales Forscherteam um den spanischen Epigenetiker Manel Esteller von der Universität Barcelona aus der epigenomischen Untersuchung verschieden alter Menschen.2
Die Forscher analysierten bei einem Neugeborenen, einem 26-Jährigen und einem 103-Jährigen die gesamte DNA bestimmter Blutzellen mit einer Methode namens Bisulfit-Sequenzierung. Sie erkennt, wo Methylgruppen ans Erbgut angelagert sind, die in der Regel den entsprechenden Teil des Erbguts stumm schalten.
Es zeigte sich, dass die DNA-Methylierung mit zunehmendem Alter kontinuierlich abnimmt.
Trugen beim Neugeborenen fast 17 Millionen von insgesamt etwa 28 Millionen so genannte CpG-Inseln eine Methylgruppe (innerer Ring), waren es beim 103-Jährigen rund eine halbe Million weniger (äußerer Ring). Die Daten für den 26-Jährigen (mittlerer Ring) lagen ebenso zwischen diesen Extremen wie Kontroll-Messungen bei mehreren mittelalten Menschen.
Je intensiver das Blau in der Grafik, desto stärker ist die entsprechende Genom-Region methyliert.
Die Zahlen ganz außen stehen für das jeweilige Chromosom.
Genau deshalb, weil sich unser DNA-Methylierungsmuster teils systematisch mit dem Altern wandelt, wurden unsere Forscher aus Kalifornien fündig.
In ihrer ersten Studie fütterten sie ihre Computer mit Daten über die Epigenome einiger Personen, deren kalendarisches Alter sie kannten. Zunächst analysierten sie 34 Paare eineiiger Zwillinge, danach 60 gewöhnliche Menschen. Schließlich filterten ihre Rechenmaschinen aus dem chaotisch anmutenden Wust von Informationen ein paar Stellen am Erbgut heraus, wo es sich offenbar lohnte, etwas genauer hinzuschauen, ob dort Methylgruppen angelagert sind oder nicht.
Aus all diesen Informationen entwickelten die Forscher eine Formel, die ihnen half, aus dem epigenetischen Muster dieser Stellen das Alter eines Menschen abzuleiten.
Da es sich bei dieser Studie um den Durchschnittswert vieler Menschen handelt, entspricht das biologische dem kalendarischen Alter. Aus dieser Vorgehensweise ergibt sich die Definition des biologischen Alters.
Was ist das biologische Alter?
Wir können den Begriff so definieren:
Das biologische Alter ist der natürliche, epigenetisch erwartbare Zustand eines Menschen in einem bestimmten Alter.
Da das biologische Alter bei gesunden Menschen stets in der Nähe des kalendarischen Alters liegt, werden Tests zur Bestimmung des epigenetischen Alters inzwischen tatsächlich kriminologisch eingesetzt. Zum Beispiel, wenn Flüchtlinge angeben, noch minderjährig zu sein, aber deutlich älter aussehen.
Damals im Jahr 2011, bei Veröffentlichung des ersten Tests, war die Probandengruppe klein und das Verfahren recht ungenau. Rein rechnerisch konnte man die Zuverlässigkeit gerade mal auf plus/minus 5 Jahre über bzw. unter dem tatsächlichen Alter eingrenzen.
Die Wissenschaft dahinter nennt man übrigens Systembiologie.
Sie versucht hochkomplexe biologische Abläufe mit Hilfe der Mathematik zu beschreiben. Ihre Algorithmen helfen uns dabei, das Leben besser kennenzulernen und Prognosen zu erstellen, wie es vielleicht in der Zukunft weitergehen wird. Ich selbst habe darüber gerade erst das Buch „Die Vermessung des Lebens“ geschrieben.
Doch nur zwei Jahre später, am 21. Oktober 2013, veröffentlichte der deutschstämmige Biostatistiker Steve Horvath, der schon an der ersten Arbeit aus Kalifornien maßgeblich beteiligt war, als alleiniger Autor im Fachblatt Genome Biology einen Algorithmus, der mittlerweile als Horvaths Uhr oder auch als epigenetische Uhr, berühmt geworden ist.3
Horvath hatte das Methylierungsmuster von 8.000 Menschen mit Analyse-Chips erfasst und schließlich 353 Stellen einkreisen können, deren „Methylierungsstatus“ – also die Antwort auf die Frage: Methylgruppe angelagert oder nicht? – den Algorithmus zur Berechnung des Alters immer weiter verfeinerte. Eine Analyse all dieser 353 DNA-Stellen gemeinsam erfasst das biologische Alter eines Menschen auf plus/minus 3,6 Jahre genau. Das war damals eine Sensation.
Fast noch wichtiger als der eigentliche Test ist der Umstand, dass Horvath seine Methoden und Resultate vollständig öffentlich machte. Seitdem arbeiten Wissenschaftler:innen überall auf der Welt daran, die Methodik weiter zu verfeinern.
Ein noch genauerer und preisgünstigerer Test auf das biologische Alter würde viele Menschen aber auch Wissenschaftler und Mediziner interessieren. Es geht inzwischen um viel Geld. Und das behindert den wissenschaftlichen Austausch natürlich auch. Denn es werden Firmen gegründet, Patentschriften vorbereitet, doch solange nichts patentiert ist, wird auch alles geheim gehalten.
Wie kann der Genetic Age Test das biologische Alter berechnen?
Zu denen, die auf Horvaths Uhr aufmerksam wurden, zählt Tim Schiederig, Projektmanager der Hamburger Thomas J. C. Matzen GmbH, die unter anderem in das Schweriner Diagnostik-Unternehmen CeraScreen investiert. Er las davon in einer Zeitung. Heute erinnert er sich: „Es hat mich irgendwie sofort mitgenommen.“
Da ihm die Fachkenntnis fehlte, fragte er bei Experten des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Hamburg nach, die er von einem anderen Projekt kannte. Als man ihm bestätigte, dass es sich um einen seriösen Ansatz handele, war dies das Startsignal.
CeraScreen begann, gemeinsam mit Fraunhofer-Forschern ein eigenes, optimiertes Verfahren zu entwickeln.
Dieses Verfahren baut auf den Ideen Horvaths zwar auf, legt aber neuere Daten und eigene Algorithmen zugrunde.
Seit Ende 2018 ist nun der Genetic Age Test erhältlich.
Es ist zumindest hierzulande der erste öffentlich zugängliche Test dieser Art.
Wer bereit ist, den üppigen Preis von 194 Euro zu bezahlen, kann eine Speichelprobe — genauer einen per Wattestäbchen erstellten Abstrich von der Mundschleimhaut — einsenden und erhält vier bis fünf Wochen später einen Ergebnisbericht.
Die Daten werden auch für das Laborpersonal verschlüsselt, angeblich bestens geschützt und sie werden nicht an Dritte weitergegeben. Auch am Fraunhofer-Institut selbst darf mit ihnen nicht geforscht werden.4
„Was Steve Horvath geschaffen hat, war bahnbrechend“, sagt Schiederig. Ihm alleine gebühre das Verdienst für die Erfindung. „Das Verfahren einfach nur zu reproduzieren, ist viel leichter gewesen“.
Allerdings hätten sich die technischen Möglichkeiten seit 2013 deutlich verbessert. Bei der Entwicklung des eigenen Tests habe man größere Analyse-Chips benutzt, die 850.000 DNA-Stellen gleichzeitig erfassen. Drei Viertel der epigenetisch markierten, mit dem Alter assoziierten Stellen, die man schließlich entdeckt habe, seien von Horvath noch nicht beschrieben worden. Und darunter seien „auch wesentlich relevantere“ gewesen.
Schließlich habe man einen Algorithmus entwickelt, der zwar nur 140 dieser Stellen auswertet, aber das Alter präziser vorhersagen kann als Horvaths Uhr: auf plus/minus 2,5 Jahre genau. „Es sind komplett andere Marker, als jene 353, die Horvath auswertet“, sagt Schiederig. Da sie aber insgesamt besser mit dem biologischen Alter korrelierten, genüge die geringere Zahl für ein genaueres Resultat.
Aufwendig ist die Testung noch immer.
Trotz des hohen Preises für die Kunden müsse man den Test derzeit noch subventionieren, sagt der Projektmanager.
Das werde sich hoffentlich bald ändern, da die beteiligten Forscher das Verfahren permanent verfeinerten.
Diese Einschätzung bestätigt Sheraz Gul vom Fraunhofer-Institut, der die Speichelproben mit seinem Team auswertet. Man durchforste sehr viele öffentlich zugängliche epigenetische Daten und optimiere das Modell und die Algorithmen stetig, so Gul: „Schon bald werden wir noch viel präzisere Vorhersagen treffen können.“ Gleichzeitig würden Aufwand und Kosten sinken.
Zunächst geht es aber auch beim Genetic Age Test darum, ein Patent anzumelden. Erst dann werden die Erkenntnisse unter Umständen publiziert.
Vorerst können wir die Angaben der Test-Entwickler also nur glauben.
Da die zugrunde liegende Methode von Steve Horvath aber schon gut beschrieben wurde, wissenschaftlich solide erscheint und zumindest in Tierversuchen von vielen Forschern auf der Welt schon mehrfach reproduziert werden konnte, erscheinen die Angaben aus dem Fraunhofer-Institut durchaus vertrauenswürdig.
Welche Folgen hat der Genetic Age Test für die Forschung?
„Es gibt ein Projekt in der Fraunhofer-Gesellschaft, in dem wir uns genauer anschauen, welche Gene jene epigenetischen Marker regulieren, die besonders stark mit der Alterung korreliert sind“, sagt Sheraz Gul. Dann suche man in Datenbanken nach Substanzen, die die epigenetischen Veränderungen an diesen Stellen aufhalten oder bremsen würden.
Die Wissenschaft profitiert also schon heute vom Genetic Age Test aus Hamburg und Schwerin.
Auch wenn der Test keine kausalen Zusammenhänge misst, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass die mehr oder weniger starke Aktivität zumindest mancher der untersuchten Gene das Altern verändert.
In die involvierten Stoffwechselprozesse könnten deshalb auch zukünftige Anti-Aging-Substanzen oder Medikamente gegen Alterskrankheiten eingreifen.
In mehreren weiteren Kooperationen etwa mit der Firma Evotec oder dem EU-Programm IBISC nutzen Stammzellforscher den Genetic Age Test aus Hamburg.
Sie programmieren Körperzellen mit gentechnischen Methoden zurück in ein Stadium, das jenem einer befruchteten Eizelle ähnelt und somit noch die Fähigkeit hat, sich in jedes denkbare Gewebe weiterzuentwickeln. Solche induzierten pluripotenten Stammzellen sind theoretisch null Jahre alt. Und tatsächlich kann man mit dem neuen Test ermitteln, ob die Reprogrammierung funktioniert hat. „Vorläufige Daten zeigen: Das Testergebnis vieler dieser Stammzellen lautet tatsächlich annähernd null“, freut sich Gul.
Um herauszufinden, welchen Einfluss bestimmte Lebensstilfaktoren auf die Geschwindigkeit unseres Alterns haben, nutzen viele Forschungsgruppen außerdem Steve Horvaths epigenetische Uhr.
Eine viel beachtete, wegen ihrer geringen Größe allerdings nicht allzu aussagekräftige Studie von Raphaëlle Chaix und Kollegen zeigt, in welche Richtung diese Forschung geht:
Scheinbar altern Menschen, die regelmäßig meditieren, zumindest im höheren Alter etwas langsamer als nicht meditierende Menschen.5
Außerdem werden die Meditierenden offenbar umso langsamer älter, je länger sie die Technik bereits ausüben.
Der richtige und der falsche Weg, das biologische Alter zu berechnen
Vieles spricht also dafür, dass Steve Horvath tatsächlich so etwas wie die Zeiger der Lebensuhr gefunden hat. Viele Experten gehen sogar davon aus, dass die systematischen epigenetischen Veränderungen mehr sind als nur eine passive Folge des Alterns.
Umgekehrt scheinen die epigenetischen Veränderungen den Alterungsprozess ein Stück weit zu steuern.
Das hieße, es gebe nicht nur eine Korrelation zwischen Alter und Epigenom – was längst unbestritten ist und für die Messung des biologischen Altes genügen würde, sondern auch einen kausalen Zusammenhang. Ob das stimmt, und ob man damit womöglich Zugriff auf einen potenziellen Jungbrunnen erhält, ist eine der spannendsten Fragen für die Zukunft der Alternsforschung.
Schon heute ist klar, dass alle Forscher:innen, die sich mit der biologischen Entwicklung, mit der Ausdifferenzierung oder Zurückprogrammierung von Geweben und Zellen, aber auch mit deren Entartung zu Krebs beschäftigen, die epigenetische Uhr mit Freuden einsetzen werden.
Inzwischen weiß man zum Beispiel, dass Krebszellen biologisch um Jahre bis Jahrzehnte gealtert sind. Gelänge es, sie zu verjüngen, würden sie vielleicht auch wieder angreifbarer.
Natürlich dürften sich auch Ärzt:innen, Behörden oder Krankenkassen brennend für unser biologisches Alter interessieren.
Schließlich verrät es einiges über unsere Lebenserwartung. Dieser Umstand wird noch zu hitzigen Debatten führen. Und es wird äußerst wichtig werden, die Daten ausreichend vor Missbrauch zu schützen.
Die gravierendsten Folgen für uns persönlich, dürfte die Methode des Genetic Age Test aber tatsächlich dann haben, wenn wir sie auf uns selbst anwenden.
Sie verrät uns etwas, was wir vielleicht gar nicht so genau wissen wollen. Wie alt sind wir wirklich? Wie lange haben wir noch zu leben? Sind wir gesund? Leben wir überhaupt auf die richtige Weise – was auch immer das sein mag?
Selbstverständlich darf niemand zu der Analyse gezwungen werden.
Wer den Test macht, erfährt ohnehin wenig konkretes. Aber das Resultat rührt an etwas ganz Grundsätzlichem:
Das biologische Alter gibt Dir Hinweise darauf, ob Dein Leben eher auf einem guten oder weniger guten Gleis verläuft.
Diese Kenntnis kann Dir helfen, Dich in eine positive Richtung zu verändern, Weichen umzustellen. Oder sie bestätigt Dich darin, weiterhin einen gesunden Lebensstil zu führen.
Sie könnte viele Menschen aber auch dazu motivieren, ungesunde Gewohnheiten zu verändern, etwa mit dem Rauchen aufzuhören, sich beim Alkoholkonsum zu mäßigen, abzunehmen oder Muskeln aufzubauen.
An diesem Punkt komme ich nun endlich zu meinem eigenen Test zurück.
Meine Erfahrungen mit dem Genetic Age Test: Wie alt bin ich wirklich?
Um ehrlich zu sein: Meine Sorge, ich könne deutlich älter sein als gedacht, war anfangs gering.
Ich rauche schon seit Ewigkeiten nicht mehr, treibe sehr viel Sport, schlafe meist ausreichend und erholsam, bin normalgewichtig, und meine Familie und ich kochen abwechslungsreich mit frischen, noch nicht weiterverarbeiteten Lebensmitteln. All das sind wichtige, das Altern bremsende Lebensstilfaktoren. So viel ist längst bekannt.
Aber es gibt natürlich auch noch eine Menge anderer Faktoren: Der streng erbliche Text der Gene spielt im Alterungsprozess zu etwa 20 Prozent eine Rolle, der Zufall mischt ebenfalls mit.
Nicht zu vergessen sind auch Einflüsse wie Dauerstress und Krankheiten sowie die Prägung im Mutterleib und in der frühen Kindheit, vielleicht sogar epigenetisch vererbte Anpassungen der Vorfahren.
Es gibt wohl kaum ein komplexeres Merkmal als die Lebenserwartung.
Entsprechend hart würde mich ein negatives Resultat treffen. Ich mache doch schon so viel richtig? Wieso spielt mir das Schicksal diesen Streich?
Zum Glück weiß ich, dass Gesundheit ein Prozess ist, den ich jederzeit beeinflussen kann – auch noch nach einem unerfreulichen Testergebnis.
Immerhin habe ich darüber ein ganzes Buch geschrieben: Gesundheit ist kein Zufall. Also entschied ich mich für den Test. Ein negatives Resultat würde mich motivieren, mehr zu tun. Davon schien ich überzeugt, …
… aber ganz sicher war ich mir an diesem Punkt natürlich nicht.
Umso besser, dass es nicht so weit kam.
Als ich vor einem Monat den Ergebnisbericht aus meinem persönlichen Internetbereich bei CeraScreen herunterlade, sind Freude und Erleichterung groß.
Ich habe den 50. Geburtstag viel zu früh gefeiert, denn biologisch betrachtet bin ich damals erst 45.
Im Ergebnisbericht steht: „Ihr CeraScreen Genetic Age lautet 49 Jahre – minus 5 Jahre Unterschied gegenüber Ihrem kalendarischen Alter von 54 Jahren.“ Ich altere rund zehn Prozent langsamer, als der im gleichen Jahr geborene Durchschnittsdeutsche.
Mache ich so weiter, spricht einiges dafür, dass ich auch zehn Prozent älter werde als der Durchschnitt.
Sehr wahrscheinlich läuft in meinem Leben also vieles richtig. Was für eine gute Nachricht! Sie unterstützt mich ungemein, in Sachen Gesundheit dranzubleiben – einfach weiter zu machen mit meinem teilweise etwas anstrengenden Lebensstil.
Es fällt ja nicht an jedem Morgen leicht, sich aufzuraffen und eine Runde laufen zu gehen, bei Hochkalorischem aufzupassen oder auf Alkohol zu verzichten.
„Wie lautet Dein Genetic Age Testergebnis, Mark?“
Auch bei mir gibt’s gute Nachrichten: Meine DNA-Probe schickte ich knapp einen Monat vor meinem 42. Geburtstag an das Labor. Das Ergebnis bekam ich vor ein paar Tagen:
Mein biologisches Alter beträgt 36 Jahre.
Demnach altere ich etwa 14% langsamer als der Durchschnitt. Legt man die Lebenserwartung meines Geburtsjahrgangs an, rücken die 100 Jahre bereits in greifbare Nähe.
Der tatsächliche Wert wird irgendwo zwischen 32,5 und 38,5 Jahren liegen.
Für mich ist das in jedem Fall ein schönes Signal und eine zusätzliche Motivation, an meinen Fitnessgewohnheiten dranzubleiben. Schließlich tragen sie schon jetzt Früchte …
Doch es gibt auch ein Problem mit dem Genetic Age Test …
Worin der Genetic Age Test bisher nicht überzeugt …
Menschen, die mit der Materie weniger gut vertraut sind als ich, werden den Bericht nicht richtig interpretieren können.
Es gibt leider keinen Hinweis auf die Genauigkeit.
Nirgends steht, dass die Angabe des biologischen Alters mit einer gewissen statistischen Unsicherheit nur für einen Bereich von plus/minus 2,5 Jahren rings um den angegeben Wert gilt.
Ich weiß, dass ich laut Test nicht biologisch 49 Jahre alt bin, sondern irgendwo im Bereich zwischen 46,5 und 51,5 Jahren.
Warum die Firma CeraScreen das Resultat ihren Kunden nicht auf diese, sehr viel ehrlichere Art präsentiert, verstehe ich nicht. Es kann doch kaum sein, dass sie ihre Zielgruppe derart unterschätzt, dass sie ihr diese Wahrheit nicht zumuten möchte?
Kaum ernst zu nehmen ist der zweite Teil des Ergebnisberichts.
Parallel zur Abgabe der Speichelprobe sollte ich auf der Webseite der Firma ein paar Fragen zu meinem Lebensstil beantworten. Aus den Antworten konstruiert CeraScreen nun etwas, was mir als „die Ursachen für Ihr Ergebnis“ verkauft wird. Das ist beinahe unseriös, auf jeden Fall ist es aber fragwürdig:
Die Analyse beschränkt sich auf sehr allgemeine Angaben zu den Themenkomplexen Ernährung, Umwelt und Gesundheit. Für jede Rubrik werden mit Bezug auf meine Antworten ein paar vermeintlich negative und positive Einflüsse aufgelistet.
Hinzu kommt pro Rubrik ein simpler, scheinbar wahlloser, nicht individualisierter Tipp, wie ich mein Alterungstempo verlangsamen kann. Bei der Präsentation der Testergebnisse besteht also noch großer Nachholbedarf.
Aber das ändert nichts daran, dass es sich um ein wichtiges Angebot für all jene Menschen handelt, die sich fragen: Bist Du wirklich so jung, wie Du Dich fühlst?
Bei mir persönlich passen Ergebnis und Gefühl jedenfalls ganz gut zusammen.
Was aber mache ich nun mit dem Resultat? Ändert es mein Leben? Wahrscheinlich nicht, zumal es ja positiv ist.
Ich bin froh über die jetzige Situation. Aber ich weiß auch, dass sich die Umstände jederzeit ändern können. Und ich weiß, da existiert auch noch dieser verdammte Faktor Zufall.
Vielleicht nicht in Sachen Gesundheit: Diese ist ein Prozess, den ich ein Stück weit selber steuern kann. Aber bestimmt in Sachen Krankheit, die nach meinem Verständnis nicht das Gegenteil oder die Abwesenheit von Gesundheit ist, wie es viele Mediziner behaupten.
Ich werde weiter hart daran arbeiten, den Gesundheitsprozess in die richtige Richtung zu lenken. Ich bin ja nun bestätigt darin, dass ich so mein Altern bremse.
Damit verringere ich auch die Wahrscheinlichkeit, mit der das zufällige Ereignis Krankheit auftritt.
Sollte mir das weiterhin gelingen, dann feiere ich meinen 60. Geburtstag auch noch nicht in sechs Jahren – sondern erst in elf.
Frage: Hast Du bereits Dein biologisches Alter berechnen lassen oder den Genetic Age Test durchgeführt? Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Wie würdest Du mit einem negativen bzw. positiven Ergebnis umgehen? Schreib einen Kommentar.
Über den Gastautor
Dr. Peter Spork
Wissenschaftsjournalist
Peter Spork gilt laut Deutschlandfunk als „einer der führenden deutschen Wissenschaftsautoren“ und als „der Mann, der die Epigenetik populär machte“. Er studierte Biologie, Anthropologie und Psychologie und promovierte im Bereich der Neurobiologie/Biokybernetik. Seit 1991 arbeitet er als Wissenschaftsjournalist und tritt als Vortragsredner, in TV und Radio auf. Zudem schrieb Spork mehrere, in zehn Sprachen übersetzte Sachbücher. Sein neues Buch Die Vermessung des Lebens ist das erste deutsche Sachbuch zur Systembiologie.
2009 und 2017 erschienen Sporks Spiegel-Bestseller Der zweite Code über Epigenetik und Gesundheit ist kein Zufall über ein neues Verständnis von Gesundheit. Seit 2010 ist er Autor und Herausgeber des Newsletter Epigenetik, seit 2018 des RiffReporter-Magazins Erbe&Umwelt.
Referenzen
Fotos im Artikel „Biologisches Alter berechnen mit Genetic Age Test“: © Thomas Duffé (Fotos von Peter Spork), © intographics / pixabay (Läuferin als Zeichnung), © Holger Heyn et al. (Horvathsche Uhr); CC BY 2.0 JD Hancock via Flickr.
Dieser Artikel erschien in einer leicht veränderten Fassung zunächst im Online-Magazin Erbe&Umwelt bei RiffReporter.
- Sven Bocklandt et al.: Epigenetic predictor of age. PLoS One 6, 22.06. 2011, S. e14821. [↩]
- Holger Heyn et al.: Distinct DNA methylomes of newborns and centenarians. PNAS 109, 26.06.2012, S. 10522–10527. [↩] [↩]
- Epigenetische Uhr von Steve Horvath (Horvaths Uhr). S. Horvath: DNA methylation age of human tissues and cell types, Genome Biology 14, 21.10.2013. [↩]
- Ich danke der Firma Cerascreen, die mir den Test kostenlos zur Verfügung gestellt hat. [↩]
- Studie zum Einfluss des Meditierens auf das Alterungstempo: Raphaëlle Chaix et al.: Epigenetic clock analysis in long-term meditators. Psychoneuroendocrinology 85, November 2017. [↩]