69% der Ernährungsempfehlungen in öffentlichen Medien sind entweder wissenschaftlich nicht belegt oder fehlerhaft dargestellt. Wenn Du weißt, wie man wissenschaftliche Studien lesen sollte (und wie nicht), kannst Du Dir ein fundiertes Urteil bilden.
Berichte über wissenschaftliche Studien sind in der Tagespresse oft leider zu stark vereinfacht – oder verzerrt dargestellt. Das gleiche gilt leider auch für Bücher oder (soziale) Medien.
Manchmal fehlt den Autoren die Expertise, um Studien richtig zu lesen. Manchmal fehlt ihnen die Zeit.
Die nötige Expertise kann man lernen. Sie ist Bestandteil jeder wissenschaftlichen Ausbildung. Falls Dein Studium schon länger zurückliegt oder Du Dir die Sache mit der Uni mal galant gespart hast – kein Problem! Dieser Artikel liefert Dir das nötige Rüstzeug, um Studien lesen und bewerten zu können.
Bleibt noch der Zeitaufwand. Bei meiner Arbeit unterstützt mich – zumindest was ernährungswissenschaftliche Themen angeht – die Wissenschaftsredaktion des unabhängigen Portals Examine, die jeden für Monat Hunderte Studien sichten, bewerten und zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
Dies ist ein Gastbeitrag der Wissenschaftsredaktion von Examine.
Wissenschaftliche Studien zu lesen und zu verstehen, ist für sie Tagesgeschäft.
Am Ende dieses Artikels weißt Du alles, was Du über das Studien lesen wissen musst – versprochen.
Damit übergebe ich an das Team von Examine!
Warum solltest Du eine wissenschaftliche Studie lesen können?
Die Medien berichten immer wieder über „bahnbrechende“ wissenschaftliche Studien, und das Marketing führt sie gerne als Qualitätsmerkmal für die Wirksamkeit bestimmter Produkte an. In beiden Fällen stellt sich die gleiche Frage:
Gibt die Studie wirklich her, was hier behauptet wird?
Wenn Du nicht unnötig Geld für unwirksame Produkte (wie einige Nahrungsergänzungsmittel) oder Interventionen (wie bestimmte Trainingsmethoden) ausgeben möchtest, solltest Du wissen, wie man verschiedene Aspekte einer Studie richtig bewertet.
Du solltest Dir ein Urteil über die GLAUBWÜRDIGKEIT, die PRAKTISCHE RELEVANZ und die beobachteten ERGEBNISSE einer Studie bilden können.
Um eine Studie zu verstehen und sie in den Kontext der Forschung zu diesem Thema einordnen zu können, genügt es nicht, nur die Zusammenfassung („Abstract“) zu lesen.
Neue Forschungsergebnisse lassen sich NUR als Ganzes bewerten.
Deswegen führen die Abstracts oft in die Irre.
Wie sind wissenschaftliche Studien aufgebaut?
Wissenschaftliche Studien, auch „Paper“ genannt, folgen allesamt einer ähnlichen Struktur.
Der Aufbau wissenschaftlicher Studien ist standardisiert.
Typischerweise enthalten sie die folgenden sechs Bereiche:
- Abstract (Zusammenfassung)
- Introduction (Einleitung)
- Methods (Methoden)
- Results (Ergebnisse)
- Discussion (Bewertung der Ergebnisse)
- Conflicts of Interest (Interessenkonflikte)
In einigen Fällen – je nach Paper und Themenstellung – kommt es vor, dass Autoren von dieser Struktur abweichen.
Wissenschaftler tauschen ihre Ergebnisse international aus und diskutieren sie mit anderen Fachleuten aus aller Welt. Daher publizieren sie üblicherweise auch auf Englisch.
Die „Amtssprache“ der Wissenschaft ist Englisch.
Nur das Abstract ist manchmal zusätzlich in der Landessprache verfügbar.
Indem Du die Abschnitte kennst und weißt, worauf es dabei ankommt, kannst Du Dir künftig ein eigenes Urteil darüber erlauben, wie relevant eine Studie für Dich ist.
Wissenschaftliche Studien lesen und einordnen: Ein 6-Schritt-Crashkurs
Lass uns die Abschnitte nacheinander durchgehen: Du erfährst, worum es im jeweiligen Bereich geht und worauf Du achten solltest.
1. Abstract — die Zusammenfassung
Der Abstract ist eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Fakten einer Studie.
Da die Autoren viele Informationen in ein paar Absätze packen müssen, können Abstracts (unbeabsichtigt) in die Irre führen.
Da der Gesamtkontext fehlt, wird an dieser Stelle meist nicht deutlich, wo die Grenzen eines Experiments liegen. Auch ist oft nicht vollständig klar, wie praxisrelevant die Ergebnisse sind.
Bevor man also eine Studie als Beweis in einer Diskussion zitiert, sollte man unbedingt die ganze Arbeit lesen.
Denn sie könnte sich als schwacher Beweis herausstellen.
2. Introduction — die Einleitung
Die Einleitung gibt den Rahmen der Forschungsarbeit vor.
Welche Frage soll die Studie beantworten – und was weiß die Forschung bisher darüber?
Die Autoren sollten an dieser Stelle das Thema klar benennen. Und darlegen, warum diese Fragestellung weiter untersucht werden sollte.
Zum Beispiel versprach der kalorienfreie Süßstoff Stevia, die Blutzuckerwerte vor allem bei Diabetikern zu verbessern. Also machten sich die Forscher daran, umfassendere und präzisere Studien durchzuführen. Sie wollten herausfinden, ob Stevia tatsächlich eine wirksame Maßnahme zur Behandlung von Diabetes sein könnte.
Weiterführende Literatur zum behandelten Thema wird meist hier in der Einleitung referenziert.
3. Methods — das Studiendesign
Der Abschnitt „Methoden“ (manchmal auch „Materialien und Methoden“) gibt Dir Auskunft über das Design und die Teilnehmer einer Studie.
Idealerweise liefern die Autoren hier so klare Details, dass andere Forscher die Studie ohne Weiteres wiederholen könnten.
Und zwar, ohne die Autoren dafür kontaktieren zu müssen.
Aus diesem Abschnitt kannst Du ableiten, wo eine Studie ihre Stärken hat – und worin ihre Aussagekraft begrenzt ist. Denn jedes Studiendesign hat Vor- und Nachteile, wie wir sehen werden.
Im Methodenteil findest Du ein paar kritisch wichtige Eckdaten, auf die Du achten solltest:
Demografische Daten
Zur Demografie gehören alle Infos über die Studienteilnehmer: ihr Alter, Geschlecht, Lebensstil, Gesundheitszustand, aber auch, wie die Teilnehmer angeworben wurden.
Erst auf Basis dieser Informationen kannst Du beurteilen, wie relevant die Studie für Dich selbst oder Deine Familie und Freunde ist.
Störgrößen
In den Demografiedaten findest Du in der Regel auch Informationen darüber, ob Personen oder Messwerte von der Studie ausgeschlossen wurden — und wenn ja, warum.
Grund für einen solchen Ausschluss ist meist, dass ein bestimmter Faktor die Ergebnisse grundlegend verfälschen würde.
Studiendesign
Es gibt verschiedene Studientypen, die allesamt eigene Vor- und Nachteile mit sich bringen.
Je nach Studientyp unterscheidet sich auch die Aussagekraft der Ergebnisse.
So gibt es Einfach-Blindstudien, bei denen nur die Probanden nicht wissen, ob sie ein Placebo verabreicht bekommen. Es gibt Beobachtungsstudien, in denen Forscher bestimmte Bevölkerungsgruppen beobachten und Messungen machen. Und es gibt viele weitere.1
In diesem Abschnitt erfährst Du außerdem Details über die Studiendauer, die durchgeführte Intervention (z.B. Einsatz eines Nahrungsergänzungsmittels, eines bestimmten Trainingsprogramms, etc.), die Testverfahren, und so weiter.
Die folgende Tabelle gibt Dir einen guten Überblick über verschiedene mögliche Studiendesigns und ihre Stärken und Schwächen.
Endpunkte
Der Abschnitt „Methoden“ klärt auch darüber auf, welche Endpunkte die Forscher untersuchten.
Angenommen, eine Studie soll beurteilen, wie effektiv ein bestimmtes Kraft-Trainingsprogramm ist. Dann könnten die Forscher die Muskelmasse als primären Endpunkt (= Hauptkriterium zur Bewertung der Effektivität) festlegen, und Fettmasse, Kraft und Testosteronspiegel der Probanden als sekundäre Endpunkte (= Nebenkriterien zur Beurteilung der Effektivität).
Statistik
Der Methodenteil schließt in der Regel mit einer knackigen Statistikdiskussion ab.
Ob die Autoren wirklich die richtige statistische Analyse für ihr Studiendesign genutzt haben, ist ein ganz eigenes Kapitel.
Wenn Du eine wissenschaftliche Studie liest, empfehlen meine Kollegen und ich Dir folgendes:
Am besten verlierst Du Dich nicht zu sehr in den statistischen Details.
Stattdessen solltest Du den Fokus lieber auf das große Ganze legen. Lass uns dazu zunächst zwei gängige Missverständnisse ausräumen – und dem Zufallsprinzip auf den Grund gehen.
Wie können wir den Zufall ausschließen?
Angenommen, Du willst eine neue Münzwurftechnik bewerten. Dazu wirfst Du eine Münze dreimal. Sie zeigt dreimal „Kopf“, keinmal „Zahl“. Liegt’s an Deiner neuen Technik? Oder ist es Zufall?
Um das Zufallsprinzip auszuschließen, nutzen Wissenschaftler Statistik.
Manchmal liest Du, dass eine Auswirkung signifikant war, nur um später festzustellen, dass sie nur winzig klein war.
Oder du liest, dass gar kein Effekt festgestellt wurde — aber beim Lesen der Studie wunderst Du Dich, dass die Interventionsgruppe mehr Körpergewicht abgenommen hat als die Placebogruppe.
Wie kann das sein? Das Problem ist simpel …
Unsere schrulligen Wissenschaftler sprechen einfach nicht wie normale Menschen.
Aus Sicht eines Wissenschaftlers ist signifikant eben nicht gleichbedeutend mit wichtig: Signifikant bedeutet statistisch signifikant.
Ein Effekt ist erst dann signifikant, wenn die Daten der Studie OHNE diesen Effekt höchstwahrscheinlich NICHT aufgetreten wären.
Daher kann ein Effekt zwar signifikant und gleichzeitig sehr klein sein2 — 0,2 kg Gewichtsverlust über ein Jahr, zum Beispiel. Auf den Punkt gebracht, heißt das:
Ein Effekt kann SIGNIFIKANT, in der Praxis aber IRRELEVANT sein.
Eben, weil er so klein ist. Was untersucht wurde, hat dann offenbar keine erkennbare Auswirkung auf Deine Gesundheit.
Für Wissenschaftler bedeutet „kein Effekt“ meist, dass es keinen STATISTISCH SIGNIFIKANTEN Effekt gibt.
Deshalb kannst Du beim Studie lesen zwar feststellen, dass die Messwerte im Zeitverlauf ansteigen (oder abfallen). Und Dich dann wundern, warum die Forscher daraus schlussfolgern, sie hätten keine Veränderungen festgestellt (bzw. keine Effekte).
Es gab sehr wohl Veränderungen, aber eben keine signifikanten.
Anders formuliert: Die festgestellten Veränderungen waren so klein, dass man nicht sagen kann, ob die Intervention dafür verantwortlich war – oder der Zufall.
In so einem Fall haben die Messwerte eben keine Aussagekraft (sie sind also nicht signifikant).
Um die statistische Signifikanz zu beurteilen, nutzen Wissenschaftler die so genannten „P-Werte“.
Was sind P-Werte — und wie interpretiert man sie?
P-Werte richtig zu interpretieren, ist selbst für Spezialisten oft alles andere als leicht. Dennoch …
Hier ist ein intuitiver Weg, wie Du P-Werte verstehen kannst.
Zurück zum Münzwurf von eben. Dieses Mal wirfst Du die Münze nicht dreimal, sondern 100-mal. Normalerweise erwartest Du bei 100 Münzwürfen etwa 50-mal Kopf und 50-mal Zahl. Das wäre nicht überraschend.
Was wäre, wenn Du dieselbe Münze 100-mal würfest, und jedes Mal Kopf bekämest?
Das wäre schon extrem überraschend, oder?
Jetzt kommen die P-Werte ins Spiel. Du kannst sie Dir als Maß für den „Überraschungseffekt“ beim Münzwurf vorstellen:
- Ein P-Wert von 5% (p = 0,05) ist nicht überraschender, als nur Köpfe bei 4 Münzwürfen zu bekommen.
- Ein P-Wert von 0,5% (p = 0,005) ist nicht überraschender, als nur Köpfe bei 8 Münzwürfen zu sehen.
- Ein P-Wert von 0,05% (p = 0,0005) ist nicht überraschender, als nur Köpfe bei 11 Münzwürfen zu beobachten.
Die P-Werte entscheiden darüber, ob ein Ergebnis „statistisch signifikant“ ist – oder nicht:
Ein Studienergebnis ist „statistisch signifikant“, wenn der P-Wert unter der Signifikanzschwelle liegt (normalerweise p ≤ 0,05).
So, geschafft! Du hast unseren kleinen Statistik-Exkurs heldenhaft gemeistert. Lass uns zum nächsten Abschnitt einer Studie übergehen.
4. Results – die Studienergebnisse
Gegen Ende stellen die Autoren das primäre Ergebnis — also das, was sie am meisten interessierte — dar und diskutieren es. Dieser Abschnitt ist meist mit „Results“ oder „Results and Discussion“ tituliert.
Es ist zwar verlockend, erst das Abstract zu lesen und dann direkt zu diesem Abschnitt zu springen – aber genau so entstehen oft falsche Schlussfolgerungen. Und genau daran liegt es, dass Studien in der Öffentlichkeit oft falsch wiedergegeben werden.
Bitte lies niemals die „Results“, ohne vorher den Abschnitt „Methods“ zu kennen!
Es ist mindestens genauso wichtig zu wissen, WIE Forscher zu einem Ergebnis gekommen sind, wie das Ergebnis selbst.
Am besten suchst Du in den „Results“ zuerst nach einer Gegenüberstellung der verschiedenen Testgruppen: Wie sind diese Gruppen charakterisiert (z.B. Alter, Trainingserfahrung, Gewicht, Gesundheitsstatus, etc.)?
Sind die Testgruppen (nach der Randomisierung) zu unterschiedlich, könnte es sein, dass man sie nicht miteinander vergleichen kann.
Solche Unterschiede können zufällig entstehen — oder die Forscher haben die Randomisierungsmethode nicht korrekt angewandt.
Forscher müssen auch über Abbrecherquoten berichten:
In praktisch jeder Studie gibt es Probanden, die die Studie abbrechen oder die Vorgaben missachten.
Je länger eine Studie andauert (z.B. bei Ernährungsstudien), desto höher ist die Quote an Abbrechern und Abweichlern.
Achtung, falls diese Quoten sehr hoch sind!
Vor allem dann, wenn eine Probandengruppen eine sehr viel höhere Dropout-Rate hat ihre Vergleichsgruppe.
Die Wissenschaftler verwenden Fragebögen, Blutproben und andere Methoden, um ihre Daten zu erfassen. Die Ergebnisse visualisieren sie mithilfe von Tabellen und Graphen.
Dort solltest Du unbedingt die senkrechte Achse (y-Achse) prüfen, besonders den verwendeten Maßstab.
Manchmal sieht eine Veränderung auf den ersten Blick riesengroß aus, obwohl sie in Wirklichkeit klitzeklein ist.
Der Ergebnisabschnitt kann außerdem eine Sekundäranalyse beinhalten, zum Beispiel eine Untergruppenanalyse.
Bei einer Untergruppenanalyse führen die Forscher einen weiteren statistischen Test durch, allerdings nur mit einer kleineren Teilnehmergruppe.
So könnte man bei einer Studie, die Männer und Frauen jeden Alters umfasst, nur die Frauen oder nur die Probanden im Alter von 65+, um herauszufinden, ob man für diese Gruppen ein abweichendes Ergebnis erhält.
5. Discussion – die Bewertung der Ergebnisse
Manchmal ist die Schlussbetrachtung in zwei Abschnitte unterteilt: „Results“ und „Discussion“.
In der „Discussion“ erklären die Autoren, worin der Wert ihrer Arbeit liegt.
Manchmal erläutern sie auch, wie sie ihre Ergebnisse interpretieren oder sie stellen Hypothesen über den Wirkmechanismus einer Intervention auf – d.h., auf welchen biochemischen Zusammenhängen eine Wirkung beruht.
Meist vergleichen sie ihre eigenen Ergebnisse mit den Ergebnissen früherer Studien und regen weitere Forschung an. Dabei ist eines wichtig zu bedenken:
Eine einzelne Studie ist ein kleines Puzzlestück im Gesamtbild eines Themas.
Und die Frage ist, wie gut sich diese Studie in den aktuellen Forschungsstand einfügt (oder davon abweicht).
Die Autoren sollten die Stärken und Schwächen ihrer Studie herausarbeiten. Diese Stärken-Schwächen-Analyse solltest Du kritisch hinterfragen. Sind die Autoren auf beides angemessen eingegangen? Oder haben sie einen kritischen Punkt ausgelassen?
Nimm die Aussagen der Forscher nie als gegeben hin. Analysiere sie!
Genau wie die Einleitung liefert auch das Resümee der Studie wichtige Hintergründe und Einblicke.
Falls Du an dieser Stelle den Eindruck hast, dass die Forscher demografische Daten über den Studienrahmen hinaus extrapolieren oder in der Ergebnisbewertung übertreiben, dann nimm Dir die Zeit:
Lies die Studie nochmals.
Achte dabei besonders auf den Abschnitt „Methoden“.
6. Conflicts of Interest – die Interessenkonflikte
Falls Interessenkonflikte existieren, nennen die Autoren sie üblicherweise am Ende eines Papers.
Interessenkonflikte treten auf, wenn das Forschungsteam motiviert sein könnte, bestimmte Ergebnisse zu erzielen.
Die offensichtlichste Ursache für einen Interessenskonflikt ist die Finanzierung.
Ein Großteil wissenschaftlicher Studien sind durch die Wirtschaft finanziert.
Wenn ein Unternehmen eine Forschungsarbeit sponsort, in der ihr Produkt untersucht wird, dann darf man diesem Unternehmen ein Interesse an einem bestimmten Studienergebnis unterstellen. Das gleiche gilt, wenn eine Person aus dem Forschungsteam bei einem solchen Unternehmen beschäftigt ist.
Interessenskonflikte sind nichts Ungewöhnliches, aber sie müssen klar benannt werden.
Leider kommt eine Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Interessenkonflikte häufig verschwiegen werden.3
Außerdem bewerten verschiedene Fachjournale Interessenskonflikte unterschiedlich. Wo ein Journal einen Konflikt sieht, sieht ein anderes keinen.
Hinzu kommt, dass einige Fachjournale sich selbst in Interessenskonflikten befinden.
Wenn eine Fachzeitschrift in einem Land erscheint, das ein bestimmtes Heilkraut exportiert, dann könnte dieses Journal einen versteckten Anreiz zur Publikation von Studien besitzen, die dieses Heilkraut in einem positiven Licht darstellen.
Es können also durchaus Interessenkonflikte bestehen, wenn eine Studie sich mit einem Stoff im Allgemeinen (und nicht einem bestimmten Produkt) befasst.
Interessenkonflikte müssen also sorgfältig bewertet werden.
Wenn keine Konflikte offengelegt sind, können sie doch existieren.
Dennoch müssen Interessenskonflikte die Aussagekraft einer Studie nicht mindern.
Damit kommen wir zum vielleicht wichtigsten Punkt dieses Artikels…
Vorsicht vor der Schlagzeile!
In den Medien liest Du häufig Berichte über „bahnbrechende“ neue Studien.
Leider kannst Du nicht davon ausgehen, dass Vertreter der Tagespresse eine Studie vollständig gelesen haben.
Eine Auswertung von Ernährungsempfehlungen in britischen Zeitungen kommt zu dem Ergebnis, dass 69% bis 72% der Empfehlungen mangelhaft oder gar nicht wissenschaftlich belegt sind.4
Um ihre Abgabetermine einhalten zu können, verlassen Journalisten sich oft auf die Pressemitteilungen zu Studien. Mit denen verhält es sich allerdings, wie mit den Abstracts: Sie können zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen.
Eine Studie ist nur EIN Puzzlestück…
Indem Du viele verschiedene Studien zu einem bestimmten Thema liest, gewinnst Du bessere Informationen — mehr aufschlussreiche Daten. Dazu brauchst Du nicht zu wissen, wie man eine Meta-Analyse durchführt.
Ein wissenschaftlicher „Beleg“ besteht aus mehr als einer einzigen Studie.
Angenommen, Du liest eine einzige Studie über die fettschmelzende Wirkung von Himbeerketonen. Und hier beobachteten die Forscher eine erhöhte Fettoxidation. Dann deuten 100% der von Dir gewonnenen Daten darauf hin, dass Himbeerketone den Fettabbau beschleunigen.
Liest Du aber zehn Studien über Himbeerketone und Fettverbrennung — und nur in einer davon beobachteten die Forscher einen signifikanten Effekt, dann ergibt sich ein vollständigeres Bild: Himbeerketone sind beim Abnehmen offenbar wirkungslos.
Für die Recherche investierst Du zwar eine Menge Zeit, aber dafür sparst Du die Investition in „Himbeerketone“.
Willst Du noch tiefer einsteigen und wissen, wie man Studien analysiert? Hier findest Du unseren noch detaillierteren, englischsprachigen Ratgeber: How to Read a Scientific Study.
Fazit
Um wissenschaftliche Studien lesen und bewerten zu können, benötigst Du zwei Dinge:
- Das nötige Fachwissen.
- Ausreichend Zeit.
Denn wenn Du Dir wirklich ein verzerrungsfreies Bild machen möchtest, genügt es nicht, einen Blick ins Abstract zu werfen. Du musst Dir die Zeit nehmen und die Studie vollständig lesen.
Eine Studie zu lesen und sie zu bewerten, kostet in der Regel Stunden.
Und um zu beurteilen, ob sich daraus ein praktischer Nutzen für Dich ergibt, musst Du in der Lage sein, sie in den Kontext des aktuellen Forschungsstands einzuordnen.
Und wenn Du Dich an dieser Stelle fragst, wo Du die ganze Zeit hernehmen sollst, dann bin ich bei Dir:
Für einen einzelnen Menschen ist es praktisch unmöglich, alle neu erscheinenden Studien zu lesen.
Hinzu kommt, dass man eine Studie am besten von mehreren Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten bewerten lässt.
Über die Autoren
Was macht Examine?
Examine ist eine unabhängige, mitgliederfinanzierte Enzyklopädie über Nahrungsergänzung und Ernährung.
Die Redaktion fasst wissenschaftliche Untersuchungen zu einem zusammenhängenden Bild zusammen.
Schlusswort von Mark
Ohne die fundierte Arbeit der Redaktion von Examine könnten mein Team und ich unmöglich am Stand der Ernährungswissenschaft dranbleiben.
Deshalb bin ich seit vielen Jahren Mitglied bei Examine und schätze die übersichtlichen Zusammenfassungen aktueller Studien sehr. Der Arbeitsablauf unten verdeutlicht den Aufwand, den die Mädels und Jungs dort treiben.
Dort, wo ich in die Tiefe gehen möchte, nehme ich mir die Zeit zum Lesen der Studien, so wie ich es aus dem Studium kenne (und es oben beschrieben ist).
Dabei hilft uns die umfassende Vorarbeit der Wissenschaftsjournalisten bei Examine, gepaart mit dem regelmäßigen Austausch mit Wissenschaftlern (wie Prof. Dr. Nicolai Worm) und Praktikern (wie Niels Schulz-Ruhtenberg).
Examine feiert im März 2022 sein elfjähriges Jubiläum.
Und leistet seit 11 Jahren einen großartigen Beitrag für mehr Transparenz und Evidenz hinsichtlich Nahrungsergänzung, vor allem, aber nicht nur in der Fitnessszene.
Happy Birthday, Examine. Auf die nächsten 11 Jahre!
P.S. Interessierst Du Dich für die Wissenschaft? Dann empfehle ich Dir die Produkte und Mitgliedschaft bei Examine. Hier erfährst Du mehr darüber.
- InformedHealth.org [Internet]. Cologne, Germany: Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG); 2006-. What types of studies are there? 2016 Jun 15 [Updated 2016 Sep 8]. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK390304/ [↩]
- Sullivan GM, Feinn R. Using Effect Size-or Why the P Value Is Not Enough. J Grad Med Educ. 2012;4(3):279-282. doi:10.4300/JGME-D-12-00156.1 [↩]
- Warner TD, Gluck JP. What do we really know about conflicts of interest in biomedical research? Psychopharmacology (Berl). 2003 Dec;171(1):36-46. doi: 10.1007/s00213-003-1657-x. Epub 2003 Nov 18. PMID: 14624332. [↩]
- Cooper BE, Lee WE, Goldacre BM, Sanders TA. The quality of the evidence for dietary advice given in UK national newspapers. Public Underst Sci. 2012 Aug;21(6):664-73. doi: 10.1177/0963662511401782. Epub 2011 Apr 11. PMID: 23832153. [↩]